PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Höherwertiges Gut - Medizinischer Fortschritt oder Evolutionstheorie?


Lawmachine79
2006-11-18, 01:36:31
Ich habe letztens auf einer langen Autofahrt (nein, ich bin nicht selbst gefahren) mal so ein Geoheft gelesen, es ging dort um Gentechnik. Das hat durchaus zu denken gegeben. Unterbinden wir durch unseren medizinischen Fortschritt den Prozess der natürlichen Auslese? Es geht hier nicht um solche Nischenthemen wie Behinderte sondern generell darum, ob der Mensch durch den medizinischen Fortschritt die Anpassung an veränderte Faktoren in seiner Umgebung verpasst. Eine interessante These in diesem Heft war, daß es heute vielleicht den Neandertaler UND den Homo Sapiens noch geben würde, wenn es damals schon Gentechnik gegeben hätte (die den Neandertaler womöglich vor dem Aussterben bewahrt hätte)...also ZWEI menschliche Rassen auf diesem Planeten.
Oder ganz harsch gefragt: verhindert der medizinische Fortschritt den ständigen Prozess der Selbstreinigung des Genpools durch die Natur? Ich finde es moralisch gerechtfertigt, daß kranke Menschen mit Mitteln moderner Medizin am Leben gehalten werden, aber ist das im Sinne der menschlichen Evolution angelehnt an Darwins Therie vom "Survival of the Strongest"? Macht es Sinn, daß bestimmte Krankheiten immer wieder behelfsmäßig geflickt werden und so eine Weitervererbung möglich gemacht wird?
Was ist dort überhaupt das höherwertige Gut? Die Wissenschaft muss sich entscheiden zwischen dem christlich-abendländischen Wertekanon, den wir unseren ethischen Maßstab nennen, und dem Wohl der Gattung Mensch, daß maßgeblich bestimmt wird durch einen möglichst eingriffslosen (eben durch die Medizin) weiteren Verlauf der Evolution.

Monger
2006-11-18, 08:39:48
Da kann ich dich beruhigen, die Entscheidung ist schon längst gefallen.

Damit sich eine Art weiterentwickelt, darf der Genpool (also die Summe aller Gene die sich in einer evolutionären Nische befinden) nicht eine gewisse Größe überschreiten, denn sonst wird jegliche Mutation bei der nächsten Generation wieder rausgekreuzt...


Oder anders gesagt: Evolution hat eine eingebaute Bremse. Nur Arten die wirklich am Rande der Ausrottung stehen, haben einen ausreichenden evolutionären Druck um sich weiterzuentwickeln.
Beim Menschen ist dies seit der Jungsteinzeit nicht mehr gegeben. Es sind auch immer ausreichend Menschen quer durch die Welt gewandert, um abgegrenzte Genpools zu verhindern. Ein afrikanischer Mensch unterscheidet sich von einem Asiaten genetisch fast gar nicht. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass der genetische Abstand zum direkten Nachbarn größer ist als zu einem der am anderen Ende der Welt lebt.

Solange es mehr als ein paar Millionen Menschen weltweit gibt, wird dieser sich nicht mehr weiterentwickeln. Wir haben die Evolution sehr erfolgreich hinter uns gelassen.

Jenny23
2006-11-18, 09:19:31
Wir haben schon vor langer Zeit begonnen unsere Umwelt unseren Bedürfnissen anzupassen (Landwirtschaft, Viehzucht). Wir passen uns also nicht mehr an die Bedingungen an, sondern die Bedingungen an uns. Wer könnte oder wollte heute schon noch in unzivilisierten Gegenden wohnen, ohne Heizung, Wasser, Elektrizität, sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln, medizinische Versorgung etc.? Ich bin mir sicher: Ich könnte es unter Garantie nicht (zumal ich dank PC und Bücher kurzsichtig bin und ohne Brille ziemlich dumm dastehen würde). Somit gibt es kein Zurück. :-)

Was die Gentechnik angeht, die bisher hauptsächlich in der Bioprozesstechnik genutzt wird und noch kaum in der Medizin, so eröffnet sich durch diese ja die Möglichkeit gewisse Defekte zu beseitigen, also schwere Erbkrankheiten z.B..

Es heißt übrigens: Survival of the fittest. Das Überleben derjenigen, die am Besten mit den Bedingungen klarkommen. Unsere Zivilisation setzt sehr viele Tierarten unter evolutionären Druck, da wir ihr Lebensumfeld massiv verändern. Vielen bleibt da nur das Aussterben, da die Veränderung zu schnell geht.

Wenn eine Art erfolgreich ist, dann verändert sie sich kaum noch. Alligatoren, Krokodile gibt es schon seit den Anfängen der Dinosaurier und sie haben sich seitdem nur wenig verändert. Ein überaus erfolgreiches Modell.

_Gast
2006-11-18, 11:13:33
Vielleicht hilft dir einer dieser Threads weiter:

http://www.forum-3dcenter.org/vbulletin/showthread.php?t=315147
http://www.forum-3dcenter.org/vbulletin/showthread.php?t=230880
http://www.forum-3dcenter.org/vbulletin/showthread.php?t=185446

Haarmann
2006-11-18, 11:23:05
warmachine79

Einerseits lehnen die "Gutmenschen" jeweils echte Heilung ab, also weg mit den Gendefekten, aber andererseits wollens dann auch, dass man diese Leute durchseucht.
Selbstverständlich ist dann plötzlich auch fraglich, was denn alles Defekte sein sollen. Bei einem Bluter wird das wohl klar sein, aber wie stehts zB mit der R/G Farbenblindheit?
Die Angst vor diesen Selektionskriterien resp. deren Misbrauch wird gerne geschürt. Den Politikern sowieso nicht vertraut und "Weisskitteln" auch gleich nicht.

Nur wem dienen diese Kranken, wenn nicht der Industrie, welche diese für horrende Summen am Leben erhält?

Amarok
2006-11-19, 03:18:47
Wo beginnt der "Defekt"? Wo das "Gesunde"?

Ein herrliches Beispiel ist da die Sichelzellenanämie.....

Monger
2006-11-19, 08:41:28
Wo beginnt der "Defekt"? Wo das "Gesunde"?

Ein herrliches Beispiel ist da die Sichelzellenanämie.....

Oder Autismus. Gerade in der IT Branche trifft man die milde Form davon (Asperger Syndrom) ständig an. Ohne die ganzen Geeks sähe die IT Welt heute vermutlich ganz anders aus.
Auch viele der sogenannten "Hochbegabten" haben eigentlich einen Defekt. Das photographische Gedächtnis z.B. ist ja auf einen Filterdefekt des Hirns zurückzuführen. Es vergisst keine unwichtigen Details mehr.

Es gibt natürlich Fälle wo es relativ eindeutig ist, aber der Graubereich ist wirklich riesig.

Plutos
2006-11-20, 18:59:29
[...]Darwins Therie vom "Survival of the Strongest"? [...]

Ich will ja nicht kleinlich sein, aber in diesem Fall muss ich: es heißt "Survival of the fittest". Und damit hat es eine völlig andere Bedeutung. Ergo: wir beschleunigen den Fortschritt höchstens noch, da unsere Bestrebungen meistens eine bessere Anpassung an bestimmte Gegebenheiten zum Ziel haben.
Edit: querlesen saugt :frown:, das hat Jennyxyz ja schon festgestellt.

Lawmachine79
2006-11-20, 19:02:40
Ich will ja nicht kleinlich sein, aber in diesem Fall muss ich: es heißt "Survival of the fittest". Und damit hat es eine völlig andere Bedeutung. Ergo: wir beschleunigen den Fortschritt höchstens noch, da unsere Bestrebungen meistens eine bessere Anpassung an bestimmte Gegebenheiten zum Ziel haben.

Weiß ich, hat Jenny weiter oben schon geschrieben :).
@Amarok: Sichelzellenanämie hat ja den Vorteil, daß man nicht mehr an Malaria erkranken kann AFAIK. Dummerweise ist man, glaube ich, ohne medizinische Hilfe nicht mehr überlebensfähig. Fragt sich, ob dieser Gendefekt aussterben würde, wenn man ihn unbehandelt lässt. Hier wäre auch zu sagen, daß einfach zu viele Menschen davon betroffen sind, als das man es einfach den Naturgesetzen überlassen sollte.

Aquaschaf
2006-11-20, 19:34:28
Fragt sich, ob dieser Gendefekt aussterben würde, wenn man ihn unbehandelt lässt.

Heterozygote Träger des Gendefekts haben einen Vorteil bei Malaria, aber Sichelzellenanämie bricht normalerweise nicht aus.

Tigerchen
2006-11-21, 14:49:43
Solange es mehr als ein paar Millionen Menschen weltweit gibt, wird dieser sich nicht mehr weiterentwickeln. Wir haben die Evolution sehr erfolgreich hinter uns gelassen.

Ist das gut angesichts unserer Zahlreichen Mängel und Gebrechen. Über 40 kommt man schon mal ins Grübeln da die Baufehler täglich offensichtlicher werden.

Monger
2006-11-21, 14:57:07
Ist das gut angesichts unserer Zahlreichen Mängel und Gebrechen. Über 40 kommt man schon mal ins Grübeln da die Baufehler täglich offensichtlicher werden.


Das ist eine ziemlich philosophische Frage. Hat Leiden, Krankheit und Alter einen Sinn?
Mit Sicherheit, nur wahrscheinlich nicht den, den wir uns erhoffen. Gäbe es Musik, wenn alle Menschen eine gefestigte Persönlichkeit hätten? Gäbe es Philosophie, wenn es keine depressiven Menschen gäbe?

Gerade bei den Philosophen ist es auffällig, wie sehr die meisten von denen mit ihrem eigenen Schicksal hadern. Natürlich ist das eine ziemlich zynische Betrachtungsweise, aber: eigentlich kann eine fehlerhafte Welt nur von einem fehlerhaften Wesen verstanden werden. Das ist zumindest meine Meinung.

Was die körperlichen Gebrechen angeht: keine Ahnung wie ich darüber denken soll. Ich hoffe ja schwer, dass die Medizin da ordentliche Fortschritte gemacht hat, sobald ich in deinem Alter bin! :tongue:

Haarmann
2006-11-21, 15:19:40
Amarok

Schlechtes Exempel...
Ist kein Vorteil auch in Malariagebieten. Der Nachteil, dass bei Doppelsichlerehen 25% Totgeburten vorkommen ist weitaus grösser.
Es verschob sich nur das Ungleichgewicht leicht, aber der Vorteil der Sichler wirkt sich nur deswegen leicht aus, weil die grosse Mehrzahl Nichtsichler sind.

DaBrain
2006-11-27, 11:26:59
Ich habe auch schon darüber nachgedacht.

Früher ist mal schon mit kleineren 'Schwächen' ein Opfer des Säbelzahntiegers geworden und konnte sein Erbgut nicht weitergeben.

Heute wird jeder 'durchgeschleift'. Ich bin z.B. Kurzsichtig. Nicht schlimm... aber früher hätte ich vielleicht irgendeine Bedrohung nicht rechtzeitig gesehen und wäre grefressen worden...

Klingt jetzt vielleicht komisch, aber eigentlich ist es bedenklich.

In der Zukunft wir es immer mehr kurzsichtige Menschen geben. Erbkrankheiten werden sich verbreiten und alle werden braune Haare haben (wie ich), weil diese Haarfarbe dominant vererbt wird.

Es gibt keine Evolution, ohne das jemand stirbt wenn es eine 'unvorteilhafte' 'Mutation' hat.

Dass wir uns Smog aussetzen heisst also nicht, dass wir uns daran an passen.
Das wird erst geschehen wenn es so schlimm wird, dass einige Menschen daran zu Grunde gehen und andere nicht.

Die Evolution ist eigentlich keine schöne Sache wenn man es so sieht...

Man sollte sich allerdings davor hüten die Evolution als 'Verbesserung' anzusehen. Das ist sie nämlich nicht wirklich.
Wenn der Mensch bessere Überlebenschancen hat wenn er dumm ist, wird sich der dumme Mensch durchsetzen und wäre dann der nächst höhere Schritt auf der Evolutionsleiter. Es ist einfach eine Anpassung an die Umstände. Auch wenn sie sich ändern.

Solange sich die Medizin weiterentwickelt, kann man ganz gut gegen kleinere genetische Nachteile vorgehen. Laseroperationen am Auge usw. sind kein Problem mehr.
Bei massiven 'Nachteilen' ist der Mensch sowieso nicht lebensfähig. Also wird der Mensch auch auf lange Sicht lebensfähg bleiben.


Vielleicht wird die natürliche Selektion bald durch die pränatale Selektion ersetzt.


Das ganze ist eine Horrorvorstellung. Wir haben nur Glück dass dieser Prozess extrem langsam voranschreitet und wir uns eigentlich keine Gedanken darüber machen müssen. ;)