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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Selbstmord eines Freundes - Gefühlslage...


Iceman346
2006-12-13, 19:52:51
Ich schreibs einfach mal nieder, wer dumme Kommentare abgeben möchte möge sich diese bitte verkneifen, dazu ist echt nicht die Zeit.

Ein Freund von mir hat sich gestern morgen das Leben genommen und das für uns alle ziemlich überraschend. Wir haben am Samstag noch ein gemeinsames Weihnachtsessen veranstaltet, wo er völlig normal wirkte. Und selbst am Montag war er abends noch stundenlang bei einem anderen Freund bevor er, gegen 1 Uhr, nach Hause fuhr und sich einige Stunden später umbrachte. Und auch dort wirkte er wohl völlig normal und der andere Freund macht sich jetzt natürlich entsprechende Vorwürfe weil er glaubt oder befürchtet es irgendwie ausgelöst zu haben.

Was ich mir momentan vorwerfe ist meine Gefühlskälte. Ich hab den Eindruck bzw. die "Hoffnung" das ich das alles noch nicht so realisiert habe, aber durch den heutigen Tag bin ich gegangen, als wäre nichts schlimmes passiert. Ich muss dazu zugeben, dass ich ihn nicht ganz so gut kannte wie einige der anderen in unserer Männerrunde, aber diese Selbstverständlichkeit mit der ich einfach weiter gemacht habe fand ich irgendwie erschreckend und ich habe ständig das Gefühl, dass mehr machen, mehr trauern sollte anstatt alles so rational anzugehen.

Dazu kommt leider, dass wir kaum etwas über die Umstände wissen. Wir hoffen nun, dass wir am Montag bei der Beerdigung von seiner Tante, der einzigen noch lebenden und hier wohnenden Verwandten, mehr erfahren, denn momentan wissen wir alle nur, dass es passiert ist.

Auf jeden Fall hat das Aufschreiben schonmal was gebracht und kurzzeitig konnt ich mich etwas gehen lassen, auch wenn ich nun schon wieder alles "eingeschlossen" hab. Ich befürcht ja, dass ichs erst bei der Beerdigung wirklich realisiere...

Crow1985
2006-12-13, 20:02:58
Erstmal mein Beileid.

Kenne das Gefühl.
Das man sich Vorwürfe macht, da man es nicht kommen sehen hat und verhindert hat oder gegengesteuert hat.

Aber man kann halt in die Menschen nicht reinschauen und kommt nicht auf die Idee, dass sich jemand umbringen will
Erst im Nachhinein sieht man gewisse Situationen in einem anderen Licht.
Momente die man nicht registriert hat, bekommen auf einmal Bedeutung und man sagt sich, in dem Moment hät ich es "checken" müssen.

MFG

wuschel12
2006-12-13, 20:05:10
Dies dauert etwas, bis Du das realisiert hast. Hatte letztes Jahr zwei Arbeitskollegen bei einem Arbeitsunfall verloren und anfangs hat man dies gar nicht so "gerafft". Aber sobald etwas später der Name fällt, merkt man es.

Thowe
2006-12-13, 20:33:11
Mein damals bester Freund brachte sich auch selbst um, etwas, das ich bis heute nicht zu 100% realisiert habe. Manchmal weigert man sich, auch wenn man es eigentlich weiß und es gibt eben auf Fälle, wo man einfach akzeptiert und nicht trauert, weil man selbst nicht wirklich etwas verloren hat. Das klingt kalt, entspricht aber bei nicht pathetisch veranlagten Menschen durchaus ihrer Natur.

atlantic
2006-12-13, 20:35:09
ich bin sicher, der Moment, in dem du trauerst, kommt. Muß nichtmal bei der Beerdigung sein. Das kann viel später passieren. Aber es wird passieren. Bis man tatsächlich "versteht", das jemand nie wiederkommt, vergeht eine gewisse Zeit.

Erschreckend ist wieder mal die Tatsache, das niemand etwas auffälliges gemerkt hat. Du als etwas entfernterer Freund wirst da auch wenig Möglichkeiten gehabt haben. Ich hoffe, die näher stehenden Freunde erkennen jetzt nicht im Nachhinein Zeichen, die da gewesen sind. Denn das würde einen Menschen sehr lange belasten.

Wenn dich die Sache sehr beschäftigt, dann sprich mit Leuten deines Vertrauens darüber. Solche Dinge müssen einfach verarbeitet werden. Und dann kommt sicher irgendwann der erlösende Moment, in dem auch du die Tränen verlieren kannst, die dazu einfach nötig sind.

Herzliches Beileid dir für den verlorenen Freund.

Brimborium
2006-12-13, 20:44:41
Erschreckend ist wieder mal die Tatsache, das niemand etwas auffälliges gemerkt hat. Du als etwas entfernterer Freund wirst da auch wenig Möglichkeiten gehabt haben. Ich hoffe, die näher stehenden Freunde erkennen jetzt nicht im Nachhinein Zeichen, die da gewesen sind. Denn das würde einen Menschen sehr lange belasten.
Hm, aber einige v.a. introvertierte Menschen investieren viel Kraft, dass man ihnen die Probleme nicht ansehen kann; es wird eine Art Maske im Alltag angewandt. Vielleicht war der Freund auch eher so ein Typ, wenn er sogar kurz vor seinem Suizid öberflächlich normale wirkte.

atlantic
2006-12-13, 21:00:26
Hm, aber einige v.a. introvertierte Menschen investieren viel Kraft, dass man ihnen die Probleme nicht ansehen kann; es wird eine Art Maske im Alltag angewandt. Vielleicht war der Freund auch eher so ein Typ, wenn er sogar kurz vor seinem Suizid öberflächlich normale wirkte.

Selbst der introvertierteste Mensch kann nicht alles verbergen vor jemandem, der ihn eigentlich gut kennt. Nur, man selber hat auch ein Leben, man ist nicht in der Lage, alles so aufzunehmen, wie es gesendet wird. Das geht im Alltag einfach oft unter, weil man garnicht anders handeln kann. Sonst würde man den Alltag nicht bewältigen können. Das etwas definitiv schon vorher wahrnehmbar war, fällt einem oft erst auf, wenn die Katastrophe da ist.

Glaub mir, ich spreche da aus Erfahrung, und auch mir sind die Dinge vorher nicht aufgefallen.

/edit.: seit der Zeit bin ich allerdings sensibler geworden.

Gast
2006-12-13, 21:04:35
Ein großes Problem, vielen Selbstmördern erkennt man ihr Vorhaben nicht an.

Gast
2006-12-13, 21:33:13
Ein großes Problem, vielen Selbstmördern erkennt man ihr Vorhaben nicht an.
Warum soll man das Vorhaben überhaupt erkennen? Um es zu verhindern?
Für den, der sich selbst umbrachte, war es die beste Lösung aus seiner Sicht der Dinge. Selbstmord geschieht selten im Affekt. Da wird vorher schon lange überlegt warum und wie man sich umbringt. Sozusagen eine Kosten-Nutzenrechnung aufgestellt. Ist die für die Betroffenen negativ wird öfter das vorzeitige Ableben in Erwägung gezogen. So nach dem Motto: Lieber tot als totunglücklich.
Nur die wenigsten sind halt konsequent und ziehen es bis zum Ende durch.

SGT.Hawk
2006-12-13, 22:53:40
Bin zwar schon älter, allerdings frage ich mich, wie jemand zu so einer Tat fähig ist.Ich finde, jetzt nicht im negativen Sinne gedacht,Respekt und Mut vor so einer Aktion, der sich sowas zutraut.Wie kann man denn überhaupt den Selbstmord als allerletzte Möglichkeit finden, ein Problem zu lösen?Ist denn Deutschland so sozial dermassen kalt, dass sich keiner mehr um die LAge des anderen schert?

atlantic
2006-12-14, 00:13:08
....Ist denn Deutschland so sozial dermassen kalt, dass sich keiner mehr um die LAge des anderen schert?

Es scheint so. Leider.

Gast
2006-12-14, 01:09:13
Bin zwar schon älter, allerdings frage ich mich, wie jemand zu so einer Tat fähig ist.Ich finde, jetzt nicht im negativen Sinne gedacht,Respekt und Mut vor so einer Aktion, der sich sowas zutraut.Wie kann man denn überhaupt den Selbstmord als allerletzte Möglichkeit finden, ein Problem zu lösen?Ist denn Deutschland so sozial dermassen kalt, dass sich keiner mehr um die LAge des anderen schert?

finanzielle Lagge scheiße, Familie zerstritten, Arbeitsplatz scheiße, man wird gemobbt (behinderung, Kleinwüchsigkeit etc), man ist zu freundlich und wird deswegen nur aussgenutzt, man wird nicht ernstgenommen, etc etc etc

Klingone mit Klampfe
2006-12-14, 01:18:20
Wie kann man denn überhaupt den Selbstmord als allerletzte Möglichkeit finden, ein Problem zu lösen?

Ganz einfach: Selbstmord ist heutzutage eine coole Sache. Du findest es ja auch toll...

Es ist eben nicht mehr die allerletzte Möglichkeit, sondern wird allmählich zur erstbesten.

malibu_shake
2006-12-14, 08:32:45
Sechzehn Jahre jung - gestorben an der Härte der Welt.
Als sie von seiner Beerdigung kamen, schwiegen sie betroffen.
Vater und Mutter weinten bitterlich.
Ihr Sohn hatte sich das Leben genommen.
"Das ist schon der Dritte in diesem Jahr", sagte der Pfarrer.
Niemand fragte, wie groß die Verzweiflung und die Einsamkeit der Jugend noch sein müsse, um sie zu bemerken. Das Leben nahm weiter seinen Lauf.
Es änderte sich nichts.
Es änderte sich keiner.

Majo
2006-12-14, 09:51:52
Hallo iceman,

schon ein Witz für sich, Du hinterfragst Deine Gefühlskälte in dieser Tragödie und Dein Nickname spricht seine eigene Sprache. Ein Selbstmord im Freundeskreis ist keine leichte Sache, auch wenn ich die Sebstvorwürfe (nicht von Dir) ehrlich gesagt für weinerlich halte. Entweder man stand dem Freund nahe und macht sich Vorwürfe, weil man das Gefühl hat, man hätte etwas anders machen können oder man kannte ihn nur näher und hat damit letztlich wenig zu tun.

Wer sich umbringen will, der tut das. Und wir leben hier nicht in einem Monsterland, wer Hilfe sucht, der findet auch welche. Egal bei welchem Problem. Imho sind Selbstvorwürfe völlig fehl am Platze. Das betrifft für mch auch die nächsten Angehörigen, ob sie zur Familie gehören oder nicht und in der Regel sind es gerade nicht die Familienangehörigen die dem "Opfer" nahestanden, sondern eben enge Freunde.

Ich kann Dir versichern, solche Begräbnisse sind hart - aus eigener Erfahrung. Aber wie viel Einfluß hat man denn tatsächlich auf seine Mitmenschen? Wer aus tiefer Depression seinem Leben ein Ende setzt, dem kann man nur sehr begrenzt helfen. Und viele wollen oder können sich nicht helfen lassen. Nach dem Erstaunen folgt oft die Phase der Ablehnung, der Vorwürfe, wie konnte "er" uns das antun. Trifft es aber imho nicht die Bohne, das ist Selbstschutz der Betroffenen. Jedem tut es im Herzen weh, wenn ein geliebter Mensch freiwillig aus dem Leben scheidet. Das ist hardcore, schlimmer als jeder Unfall, da eben vermeidbar. Aber diese Vermeidbarkeit ist eine Illusion.

Und kaum einer sucht nicht eine Teilschuld bei sich selbst. Das ist vollkommen normales Verhalten, ändert aber nix an der Grundproblematik. Verhindern kann man soetwas nicht. Speziell die Eltern werden daran vermutlich ihr Leben lang knabbern. Doch zu unrecht, es kann sich niemand Vorwürfe zu so einer Tat machen, weder die Eltern, noch ihr als Freunde. Jemanden der nicht mehr will, kann man nicht aufhalten, dass ist vollkommen illusorisch. Daran hätte auch keine vermehrte "Wachsamkeit" etwas geändert.

Ist aber ein langer und schmerzhafter Lernprozeß.
Mein Mitleid zu dieser Erfahrung,
Gruß

The_Lutzifer
2006-12-14, 18:31:56
Es muss tatsächlich nicht immer Zeichen geben, die von anderen übersehen werden.
Einen Bilanzsuizid (http://de.wikipedia.org/wiki/Bilanzsuizid) z.B. kann man kaum verhindern, da die Person ja nicht verwzeifelt ist, sondern eher sehr nüchtern die eigene Situation auswertet.

Jemand der vorher noch gut drauf war und sich relativ normal gegeben hat, kann durchaus in diese Kategorie gehören.
In einem solchen Fall ist die Selbsttötung kein Hilfeschrei mehr, sondern eine sehr nüchterne und konsequente Abrechnung mit dem eigenen Leben.

Eigentlich finde ich es sogar noch trauriger, wenn jemand in eine solche, absolut perspektivlose, Situation gerät, als wenn er durch einen Suizidversuch hofft, endlich beachtet zu werden. Im zweiten Fall möchte derjenige ja endlich etwas ändern und weiß nur nicht wie.
Aber gerade der fortschreitende Abbau im Bereich sozialer Hilfs- und Unterstützungsangebote wird in Zukunft immer mehr Leute zu solchen Bilanzselbstmorden bewegen.
Auch wenn es ausgelutscht klingt, tragen die Medien maßgeblich dazu bei, indem sie einen Lebensstandard vorleben, der für immer weniger Menschen erreichbar ist.

Eine Hauptschule, die von anerkannten Instituten als Verliererschule bezeichnet wird ist z.B. so ein Alptraum für mich.
Mit dem Stigma Verlierer und der Prognose "Prekariat ohne Aufstiegschance" kann manchen durchaus die Hoffnung verlassen.

Naja, ich will nicht zu sehr OT werden.

Mein Beileid Iceman346, die Zeit zu trauern wird schon noch kommen, das kannst du nicht übers Knie brechen.
Deshalb braucht man auch kein schlechtes Gewissen zu haben, das ist vollkommen legitim, sich da erstmal innerlich etwas zu distanzieren, auch unbewußt.

Edit: Ich seh gerade meinen Avatar. Sorry, wenn sich da in diesem Zusammenhang jemand auf den Schlips getreten fühlt.

Iceman346
2006-12-15, 12:02:35
Danke erstmal allen für die vielen netten Worte. Ich selbst bin immer noch etwas im Schockzustand, hatte eigentlich erwartet frühestens in ~10 Jahren auf meine erste Beerdigung zu müssen...

Hallo iceman,

schon ein Witz für sich, Du hinterfragst Deine Gefühlskälte in dieser Tragödie und Dein Nickname spricht seine eigene Sprache.

Dann muss ich ja vor ~8 Jahren, als ich den Nick das erste Mal gewählt habe, genau die richtige Eingebung gehabt haben ;)

Gast
2006-12-15, 14:50:10
Auch wenn es ausgelutscht klingt, tragen die Medien maßgeblich dazu bei, indem sie einen Lebensstandard vorleben, der für immer weniger Menschen erreichbar ist.

Eine Hauptschule, die von anerkannten Instituten als Verliererschule bezeichnet wird ist z.B. so ein Alptraum für mich.
Mit dem Stigma Verlierer und der Prognose "Prekariat ohne Aufstiegschance" kann manchen durchaus die Hoffnung verlassen.

Wobei bei diesen "Velierern" das selten in Selbstzweifel umschlägt und im Selbstmord endet. Eher in Kriminalität und exzessiver Gewalt, die uns dann alle betreffen wird, es sei denn man hat Geld für Personenschutz.
Das gibt in Zukunft noch ein heißer Ritt. Wir gehen gerade mit großen Schritten in Richtung "Untergang". Zunehmende soziale Spannungen / Ungleichheiten bei so einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland --> worst case ever.
In Zukunft wird der Selbstmord dann noch die gnädigste Alternative aus der Misere sein.