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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gedanken zur Freiheit


Alchemist
2007-02-07, 18:36:29
Es ist ein ewiges Thema für mich. Wahrscheinlich werde ich noch auf dem Totenbett viele Fragen zu dieser Thematik haben...

Und die ersten Fragen bleiben schwierig zu beantworten.

Was ist Freiheit?
Die Möglichkeit zu tun und zu lassen was man will. Hier sind zwei Begrenzungen offensichtlich. Nicht alles was man will kann man tun. Es gibt elementare Beschränkungen. Niemand kann sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen, Gedanken lesen, ewig Leben etc... Es ist denkbar, daß manche Grenzen mit der Zeit überwunden werden können. Blicken wir zurück: Waren die Menschen damals weniger frei, weil sie nicht fliegen konnten? Oder weil sie nicht mal eben mit Auto, Zug, Flugzeug an einem Tag sicher in eine andere Stadt reisen konnten?
Oder ist Freiheit nur im Kontext definierbar. Wer heute das Geld hat Flugreisen zu unternehmen ist ebenso frei wie damals jemand, der sich eine Kutschfahrt leisten konnte? Oder ist die Definition der Freiheit an diesem Punkte schon daneben?

Die andere offensichtliche Begrenzung ist der Wille. Es ist nicht möglich zu wollen was man will. Der Wille generiert sich aus dem was man ist, aus dem Charakter, der Persönlichkeit im Kontext mit der Umgebung. Und die Persönlichkeit entsteht zum Teil aus dem genetischen Erbe der Eltern. Hier entscheidet also der Zufall: Welches Spermium erwischt welche Eizelle. Das wird beeinflusst vom "Willen" der Eltern ungeschützt Sex zu bestimmten fruchtbaren Zeiten zu haben usw.. Eine endlose Kette aus Kausalität und Zufall (wahrscheinlich werden es auch wirklich zufällige Prozesse sein, die metastabile elektrische Zustände im Gehirn beeinflussen). Zum anderen Teil entwickelt sich aus der Interaktion von angeborener "Persönlichkeit", also der Art wie das Gehirn auf Wahrnehmungsreize reagiert, wie es Informationen verarbeitet, speichert, bewertet etc., mit der Umwelt in der das Wesen aufwächst. Und diese Umwelt wird wieder generiert aus Kausalitätsketten in denen der Zufall eine Rolle spielt.
Selbst ohne diese Überlegungen erscheint ein freier Wille unmöglich. Wie sollte freier Wille möglich sein, wo Wille doch immer Produkt sein muss? Wille kann sich nicht aus sich selbst generieren, solange wir Kausalität annehmen und bisher gibt es nur unter sehr extremen Bedingungen Gründe diese Annahme abzulehnen. Die Entstehung des Universums, Ereignisse auf mikroskopischer Ebene. Bei sehr kleinen Größen gelten andere Gesetze. Die Raumzeit ist gequantelt, die Ergebnisse stehen nicht fest sondern besitzen nur Wahrscheinlichkeiten. Prinzipiell gilt dies auch für die makroskopische Welt. In dieser mitteln sich die Wahrscheinlichkeiten jedoch zu der uns bekannten Kausalität. Da der Wille und die Dinge die ihn generieren nicht zu wesentlichen Teilen auf Basis von Quanteneffekten entstehen, sondern nur teilweise durch diese beeinflusst werden, lässt sich wohl die Kausalität als auf dieses Problem anwendbar ansehen. Wobei ich mir an diesem Punkt nicht sicher bin. Dennoch wären auch diese Effekte nicht beeinflussbar. Der Wille gebietet nicht über Quanteneffekte. Und man kann den Willen, also den Geist nicht mit solchen Effekten gleichsetzen. Der "Geist" braucht eine geordnete, letztlich makroskopische Struktur (wobei die Struktur in ihrer Funktion und ihrem relevanten Aufbau (für die Funktion eines Hammers ist es egal, daß der Eisenklotz aus Atomen besteht) in den mikroskopischen Bereich hineinreicht) um existieren zu können. Zumindest nach allem was wir wissen.
Daraus lässt sich folgern, daß ein freier Wille nicht existieren kann. Nichts kann sich ins Wollen wollen. Dieses Paradoxon könnte eventuell noch aufgelöst werden, sofern man die Kausalität abschafft. Dann gibt's aber für uns alle üble Kopfschmerzen...

Ok, das ist wenig Neues.

Aber daraus generieren sich für mich neue Fragen. Wir wissen das die Freiheit eingegrenzt ist. Physikalische Grenzen, logische Grenzen die einen freien Willen unmöglich machen, sofern wir Kausalität annehmen.

Dennoch bewerten wir. Wir messen Freiheit nach ihrer Qualität. Wir sagen, daß ein Sklavenarbeiter weniger frei ist, als ein reicher Mensch der sich z.B. Sklavenarbeiter hält. Der Sklavenarbeiter muss tun, was sein Herr ihm sagt, sonst wird er bestraft. Der Herr kann frei entscheiden, ob und wie er ihn bestraft. Der Sklavenarbeiter steht unter seinem Herren. Er ist weniger frei. Dies ist, so scheint es zumindest, offensichtlich. Der Herr entscheidet über die Freiheiten seines Sklaven, er entscheidet über die Art und Weise des Sklavenlebens. Der Sklave entscheidet weniger. Er hat weit weniger Freiheiten als sein Herr. Die Quantität der Freiheiten unterscheidet die Beiden. Denn ein Qualitatives Maß für die Freiheit ist, wie das Beispiel des Fliegen könnens schon andeutete, schwierig. Der Sklave kann meist einige Dinge in seinem Leben noch entscheiden. Natürlich nur in der Illusion des freien Willens, die er jedoch mit seinem Herren teilt. Er kann denken woran er will. Er kann sich vorstellen seinen Herren umzubringen, er kann an die Farbe rot denken, wenn sein Herr will, daß er an die Farbe blau denkt. Er kann entscheiden zweimal schnell und kurz zu atmen, oder einmal tief. Man kann dies natürlich durch die Art des Verhältnisses und den technischen Fortschritt immer weiter einschränken. Es ist ein Punkt denkbar, wo der Sklave in allem was er tut, denkt, will, wünscht, kann eine Marionette seines Herren ist. Er kann nichts mehr denken, keine einzige "Entscheidung" mehr treffen, da all dies durch seinen Herren entschieden wird. Er hätte dann Null Freiheiten. Wir würden wohl darin übereinstimmen diesen Sklaven als unfreier als seinen Herren zu bezeichnen. Doch die Freiheit des Herren wäre dadurch auch extrem eingeschränkt. Die stetige und absolute Kontrolle des Sklaven auf allen denkbaren Ebenen erfordert seine ständige Aufmerksamkeit, ständiges Entscheiden für den Sklaven, ständiges Denken für den Sklaven. Denn der Sklave darf ja nicht einmal einen Gedanken ohne Erlaubnis denken. Der Herr wäre ebenfalls Sklave. Er hätte sich selbst versklavt mit seinem Wunsch die absolute Kontrolle über jedes Detail des Seins seines Sklaven zu haben.
Aber würden wir den Herren der ja entscheidet nicht dennoch als den freieren Part in dieser Beziehung ansehen? Denn der Herr will entscheiden, der Sklave wollte nicht, daß er nicht mehr entscheiden kann, daß seine Persönlichkeit, sein Sein, seine Essenz ausgelöscht wird. Der Sklave ist nicht mehr existent. Der Herr ist zwei Menschen. Der Herr dominiert zwei Körper. Der Herr ist zwei Körper. Der Herr hält sich keinen Sklaven mehr, er hat den Sklaven ausgelöscht und durch sich ersetzt. Der Herr bleibt somit Herr, der Sklave wird zu Nichts. Der Herr hat damit alle Freiheit die er haben kann, der Sklave hat nicht eine Freiheit mehr. Wie es uns erschien, so ist es also offenbar auch.
Dieser Fall wäre also geklärt. Nun wird alles komplizierter. Extreme sind bekanntlich die einfachsten Fälle.
Was wenn der Herr den Sklaven gewisse Freiheiten lässt. Wenn der Sklave weiterhin will. Das ist nicht falsch, denn das was der Mensch ist will, nicht der Mensch will, der Mensch ist der Wille dadurch daß er ist was er ist.
Der Sklave ist also weiterhin eine eigene Persönlichkeit. Jedoch ist er stärker eingeschränkt als sein Herr. Er hat weniger Freiheiten. Darin sind wir uns einig. Und jetzt wird es richtig kompliziert: Will der Sklave frei sein? Oder will er Sklave sein? Kann er eigentlich noch wollen wie er will? Denn immerhin entwickelt sich seine Persönlichkeit ja stetig weiter. Dadurch daß er Sklave ist, verändert sich seine Persönlichkeit mit der Zeit. Er bekommt bestimmte Reize, er lernt, er verändert sich wie jeder Mensch im Laufe seines Lebens. Der Herr kann theoretisch kontrollieren, welche Reize der Sklave bekommt. Er kann den Sklaven erziehen, er kann strafen und belohnen, er kann zu subtileren Mitteln greifen. Wird sich der Sklave nun in einer Weise ändern, daß er Sklave sein will, oder will der Sklave weiterhin frei sein? Kann man das qualifizieren oder quantifizieren? Jeder Mensch verarbeitet Informationen anders. Jeder Mensch hat eine anderen Persönlichkeit. War der Sklave einst frei, so kennt er etwas anderes als sein Sklavendasein. Dennoch besteht die Möglichkeit, daß der Herr ihn so manipuliert, daß er Sklave sein will, daß er vielleicht sogar noch viel extremer dienen will, viel härter arbeiten möchte, daß er es als Sinn und Zweck seines Lebens erkennt Sklave zu sein und zu dienen. Wurde er als Sklave geboren kennt er im Idealfall nichts anderes. Er lebt ein Leben, daß für ihn so normal ist wie das Leben eines "freien Menschen". Die Dinge sind für ihn wie sie sind. Wie für uns auch. Manches kann man verändern, aber die meisten Dinge sind fest.
Dieser Sklave könnte also zu einem Menschen erzogen werden, der Sklave sein will, der dies als höchsten Sinn seiner Existenz wahrnimmt. Oder ist dies aus Gründen die ich nicht bedacht habe unmöglich? Gibt es einen Freiheitstrieb, der dem immer entgegensteht? Man kennt es ja auch aus der Geschichte. Es gab immer wieder Sklavenaufstände. Aber waren das nicht schlicht schlecht erzogene Sklaven, also Sklaven denen man nicht genug Aufmerksamkeit und Mühe gewidmet hat sie zu echten Sklaven zu machen? Die Unterdrückung war in diesen Fällen fast nur physischer Natur.
Wie würden wir Ausstenstehenden Menschen diesen Sklaven betrachten. Der Sklave ist zufrieden. Er wurde dazu gebracht so leben zu wollen. Wir würden meinen, daß es ein Akt der Gewalt, eine unschöne Sache war, was mit diesem Menschen getan wurde. Der Akt der Versklavung würde den meisten von uns wahrscheinlich widerlich und grausam erscheinen. Unsere Fähigkeit zur Empathie wäre dabei ein wesentlicher Faktor. Man würde es für sich selbst nicht wollen. Und ich persönlich würde es für niemanden wollen der mir wichtig ist. Ich persönlich finde es eigentlich schlimmer als jemanden physisch zu töten.
Diese Art der Versklavung ist eine geplante und durchgeführte Veränderung der Persönlichkeit eines Menschen. Doch ist dies unbedingt grausamer, als die ungeplante, die "ganz natürliche" Veränderung der Persönlichkeit eines Menschen? Ja, sie ist es. Denn die Persönlichkeit eines Menschen generiert sich, wenn sie einmal entstanden ist selbst. Sie hat den Willen zu tun und zu wollen was ihr Sein ihr aufträgt. Einfacher gesagt: Sie will ihre eigene Zukunft. Sie will sich erhalten. Sie will sie selbst sein und tun und lassen was sie will. Aber, so könnte man einwenden: Auch die nicht wollende Welt gibt doch Wege vor, begrenzt den Willen. Der Wille kann in beiden Fällen nicht wirklich frei sein. Der Wille die Persönlichkeit die ihn generiert zu erhalten ist in beiden Fällen unrealistisch. Dennoch empfinden wir es als Gesellschaft, empfinden es wohl auch die meisten Menschen als einen Unterschied. Warum ist das so? Weil wir den anderen Menschen nicht als Naturgewalt wahrnehmen. Der andere Mensch ist Konkurrenz, ein Gegner, etwas was man selbst auch ändern und bekämpfen kann. Es ist eine der elementaren Formen des Willens zur Macht. Der Wille eines anderen Menschen ist für einen "freien" Menschen keine unüberwindbare Naturgewalt. Für den Sklaven jedoch schon. Vielleicht ist dies ein wesentliches Unterscheidungskriterium um die Freiheit/Unfreiheit eines Sklaven beurteilen zu können.

Aber jetzt wird es erst richtig ärgerlich und nervig. Was ist mit den Menschen die sich entscheiden Sklaven zu sein? Die Menschen die als Sklaven geboren werden, die aus sich heraus ohne gezielte äußere Manipulation Sklaven sein wollen? Sie sind die Sklaven ihrer Wünsche und Triebe wie wir alle. Und dennoch sehe zumindest ich hier wieder einen Unterschied. Einen Junkie finde ich, vor allem in seinem Rausch, erbärmlich. Er hat keine Kontrolle über irgendeinen Teil seines Lebens. Aber er hat diese Kontrolle einst aus freien Stücken aufgegeben und kann nun aus eigenem Willen nicht mehr zurück. Wären da nicht doch noch einige Probleme der realen Welt (Beschaffung der Droge), er wäre ein glücklicher Mensch. Und dennoch würde ich ihn unfrei, jämmerlich, widerlich und erbärmlich nennen. Warum würde ich das? Warum würde ich das?
Oder ein anderes Beispiel. Mein Lieblingsbeispiel. BDSM. Ein Mensch der einem anderen Menschen aus freien Stücken Macht über ihn gibt. Es entsteht ein Verhältnis Sklave und Herr. Der Sklave wünscht dies, der Herr ebenso. Es entsteht eine Dynamik die beide verändert. Der Herr wird immer mehr zum Herrn, der Sklave immer mehr zum Sklaven. Der Sklave will stärker dienen, er will ergebener dienen, er will für seinen Herren leben. Der Herr verändert sich entsprechend. Er erwartet dies. Eigentlich eine ganz normale Entwicklung in einer Beziehung. Man reibt sich und verändert sich miteinander.
Dennoch: Wer ist freier in einer solchen Beziehung? Der schließlich völlig entmündigte, absolut unterwürfige Sklave, dessen einziger Sinn im Leben zu dienen ist, oder der Herr, der durchaus ein anderes Leben nebenbei führen kann, z.B. einen Job hat, andere Sklaven etc. etc.? Der Herr ist freier. So scheint es mir zumindest. Und was ist mit dem Herren, der schon durch andere Sklaven so verändert ist, daß er seine absolute Dominanz als gegeben sieht? Es würde die Beziehung zu einem neuen Sklaven einseitiger machen, die Beziehung wäre anders. Er würde den Sklaven so manipulieren, daß dieser ebenfalls breitwillig ein totaler Sklave wird. Dies kann aus dem anfänglich schlichten Wunsch des Sklaven entstanden sein "ein bisschen dominiert" zu werden. Und er landet schließlich da, wo er als alte Persönlichkeit niemals landen wollte. Aber auch dies gibt es im normalen Leben, es ist alltäglich. Wir tun oft Dinge, von denen wir als jüngeres Ich gedacht hätten: Niemals.
Warum finde ich dennoch einen Sklaven, einen Junkie, einen Süchtigen widerlich, erbärmlich und hässlich und andere Menschen nicht (zumindest nicht so pauschal)? Ich denke es ist die Tatsache, daß ein Mensch sein ganzes Leben um eine Sache aufbaut, er im Extrem eindimensional wird. Er ist kein Mensch mehr. Er ist ein Wesen, welches seine eine Sucht befriedigt und dafür alles andere aufgibt. Er wird klein, er wird banal, er wird ein Ding, welches nur noch ein Ziel im Leben hat.
Das ich hier vermeintlich von einem Extrem spreche ist dabei nicht das Problem. Wie ich schon schrieb gibt es da eine Entwicklung über die Zeit, oder zumindest die sehr reale Gefahr dieser Entwicklung. Man kann Alkohol trinken ohne süchtig zu werden. Aber man kann eigentlich nicht Heroin nehmen ohne süchtig zu werden, oder besser: Nur sehr wenige Menschen können das. Aus biochemischen Gründen, aus Gründen der Persönlichkeitsstruktur. Aber die Dynamik des Machtspiels scheint mir potentiell stärker zu sein als diese Substanzen.
Von daher halte ich die Neigung sich unterwerfen zu wollen für eine Geisteskrankheit, wie die Rauschmittelsucht, wie Depressionen etc...
Was meint ihr?