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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gefühl vs. Rationalität - kann diese Beziehung eine Zukunft haben?


Gast
2007-05-01, 10:25:17
Ich habe mir heute nacht ziemlich den Kopf zerbrochen, bin mir aber trotzdem immer noch nicht klar darüber geworden, was ich tun, oder besser gesagt nicht tun soll.
Zur Sache:
Ich habe eine überaus sympatische Frau kennengelernt, die Chemie hat gleich auf Anhieb gepasst. Selten ein weibliches Wesen getroffen, dass so auf meiner Wellenlänge liegt. Sie spricht mich sowohl mental als auch auf der visuellen Ebene sehr an. Ich kann mit ihr über jeden Mist lachen, wir können uns stundenlang über Dinge unterhalten, die uns wichtig sind, oder eben auch einfach nur Blödsinn reden. Wir fühlen uns auch auf der *ähem* körperlichen Ebene sehr zueinander hingezogen.
Soweit könnte man sagen, dass doch alles bestens ist. Ist es eigentlich auch.
Die Sache hat nur einen Haken. Sie ist an Multipler Sklerose erkrankt, was sich bisher in einer Gehbehinderung äußert, die ausgedehnte Outdooraktivitäten leider nicht möglicht macht. Zur Zeit ist die Erkrankung stillstehend, also der letzte Schub ist relativ lange her. Ich hab beruflich viel mit an MS erkrankten Menschen zu tun und leider auch schon vielfach erlebt, wohin die Erkrankung im schlimmsten Fall führen kann. Eigentlich sagt man ja, geniesse den Augenblick. Trotzdem muss ich öfter als mir lieb ist daran denken, was einmal sein könnte (nicht sein muss, da man den Krankheitsverlauf nicht voraussehen kann). Und mir ist bei diesen Gedanken ehrlich gesagt überhaupt nicht wohl in meiner Haut, auf der anderen Seite möchte ich aber auch das nicht als Grund nehmen, mich nicht weiter auf diese Frau einzulassen.
Sie geht im übrigen sehr offen mit ihrem Handicap um, ich habe allerdings über meine Bedenken noch nicht mit ihr gesprochen, da ist meine Hemmschwelle einfach zu groß.
Ich würde mich über Anregungen und Meinungen darüber freuen, wie ihr mit so einer Situation umgehen würdet, oder was ihr für Gedanken dazu habt.

Major J
2007-05-01, 10:41:38
Einfach kurz und bündig einen Gedanken dazu: Was würdest du an ihrer Stelle machen, denken und wagen, wenn die Situation genauso wäre nur du hättest MS?

atlantic
2007-05-01, 12:06:30
deine Bedenken sind verständlich, zumal du dich mit dem Verlauf von MS gut auszukennen scheinst.

Ich bin mir sicher, das du im Moment noch gefühlsmäßig die Lage im Griff hast. Nur so kannst du dir rational Gedanken um die Zukunft machen.
Ob dies so bleiben wird, bezweifle ich allerdings, sollte wirklich alles zwischen euch stimmen.

Niemand kann starke Gefühle wirklich der Logik unterordnen. Die Frage, ob du dich mehr drauf einläßt, stellt sich demnach nicht wirklich. Es wird passieren, oder eben nicht. Ohne das du eine Chance hättest, an der richtigen Stelle einzugreifen. Also, es ist tatsächlich so. Genieß den Tag, wie er kommt. Und sollte daraus mehr werden, wird es mit MS genauso wie ohne MS so sein.

Ich persönlich kenne ein Paar, das zusammengefunden hat, in ähnlicher Situation (er sitzt seit längerem im Rollstuhl, sie ist putzmunter). Sie haben sich so kennengelernt und verkörpern für mich das absolut geistig kompatible Paar. Alle Äusserlichkeiten treten in den Hintergrund, wenn man jemanden wirklich liebt. Und "sie" hat sich sicher auch mal solche Fragen gestellt wie du.

Du wirst nicht gegen Gefühle angehen können, wenn sie da sind. Also wäre ein Versuch dessen höchstwahrscheinlich sowieso zum Scheitern verurteilt.

Gast
2007-05-01, 12:17:24
Trotzdem muss ich öfter als mir lieb ist daran denken, was einmal sein könnte (nicht sein muss, da man den Krankheitsverlauf nicht voraussehen kann). Und mir ist bei diesen Gedanken ehrlich gesagt überhaupt nicht wohl in meiner Haut, auf der anderen Seite möchte ich aber auch das nicht als Grund nehmen, mich nicht weiter auf diese Frau einzulassen.
Was du *nicht* tun solltest: Die Beziehung fortführen, aber dann beenden falls sich die Krankheit verschlimmert. Das wäre sowohl aus rationaler als auch aus subjektiver Sicht die schlechteste Option, mit der weder deinem Gewissen, noch ihr oder irgendjemandem sonst auf dieser Welt gedient wäre.
Mit ihr aus Mitleid zusammenzubleiben birgt ebenfalls dieses Risiko irgendwann zu sagen: "Ich kann nicht mehr, jetzt ist Schluß".

Die Frage ist meiner Meinung nach, ob ein fortschreitender Krankheitsverlauf bei dir nur ein Unwohlsein hervorruft, oder ob das für dich ein Alptraum wäre den du auf keinen Fall erleben willst. Falls letzteres zutrifft bleibt dir wohl nichts anderes übrig als die Beziehung wegen ihrer Krankrheit zu beenden. Das wäre zwar für sie und auch für dich ein zuerst auf Gefühlsebene, dann aber auch rational schwer zu verdauernder Schlag, aber immer noch das Beste.
Auf der anderen Seite solltest du jedoch auch bedenken, daß eine persönliche und intime Verbundenheit Dinge wie Ekel, Angst oder den Wunsch bloß hier wegzukommen auch fortwischen können. Es ist beispielsweise etwas ganz anderes seinen eigenen Eltern im Alter zu helfen als einen fremden Menschen zu pflegen.

Thowe
2007-05-01, 13:45:23
Nun, wenn ich an deiner Stelle wäre, ich würde immer den Gefühlen folgen. Niemand weiß was der Morgen bringt und eine Hochleistungssportlerin kann auch plötzlich an Herzversagen sterben. Das Leben ist verdammt kurz um es an Wahrscheinlichkeiten zu verschwenden, egal was auch kommen mag, nichts auf der Welt ersetzt das Gefühl einer ehrlichen und tiefen Liebe und ja, dafür braucht es im gewissen Sinne auch Abhängigkeiten. Diese mehren das Gefühl des möglichen Verlustes und je intensiver es ist, desto besser ist es oftmals auch, was man aus diesem gewinnt.

Klar wird es Dinge geben die nicht so gehen wie bei anderen Paaren, aber wenn ihr euch wirklich derartig gut versteht, dann zum Kuckuck damit. Die meisten Beziehung leben nur in einer beziehungsähnlichen Phase, weil unsere massiv gelebte Individualität mit der daraus entstehenden Egoismus eben ausgesprochen gut jegliche Qualität die eine echte Beziehung ausmacht raubt. Wir berauben uns selbst und irgendwann muss jeder erkennen, dass eben im Leben nur ein Gefühl von echter Bedeutung ist und je intensiver man dieses lebt, desto weiter wird es einen durchs Leben tragen.

Wer Leben anhand der Dauer bewertet, der bewertet falsch. Leben ist Chaos und Katastrophe, alles was zählt sind die Anzahl der Momente in denen man wirklich glücklich ist bzw. am Ende war. Nichts kann diesen Wert auch nur im Ansatz erreichen, kein Geld, kein Sex, keine Macht, kein Spaß - Alles was zählt ist das Gefühl eines tiefen Glücks und das lebt von Chancen. Diese zu finden, zu meistern und zu leben, ist alles was im Leben zählt.

Und wer meint, dass das nicht rational und vernünftig ist, na und? Rationalität birgt nichts von Bedeutung, sie mindert nur. Sie kann nützlich sein, immer dann wenn sie angebracht ist, aber wer wegen Kleinigkeiten die Rationalität über Chancen stellt, der handelt im Prinzip unrational. Ist das Selbstbetrug? Sicher! Doch der fängt für die meisten am Morgen mit den ersten Blick in den Spiegel an, wo man sich sagt, ich sehe gut aus. Wir sehen eben das, was wir sehen wollen und oftmals ist das für ein gesundes Leben eben das Beste. Wer in den Spiegel schaut und denkt, er sieht scheiße aus, der mag zwar recht haben, aber glücklich macht ihn das definitiv nicht.

Chancen suchen, diese zu leben und Zweifel mit echten Glück übertünchen. Das ist die Macht der Liebe, egal wie blind sie einen auch machen mag. Schön ist das Leben nicht, aber die Liebe eine exzellente Droge es in satten Farben erscheinen zu lassen. Warum die Realität leben, wenn Träume so viel schöner sind und meistens nur deshalb nicht gelebt werden, weil man der Realität glaubt. Letztendlich bedeutet den Glück hinterher rennen oftmals nur, dass man vor diesem flüchtet.