Cramer
2008-12-02, 18:27:33
Ich lese ab und zu in den Foren des 3D-Center. Zum aktiven Mitposten fehlte mir bisher die Motivation, doch ein bestimmtes Postings eines Member hier hat mich umgestimmt. "123456" hat im Religions- und Wissenschaftsforum zum Thema: "Sind Männer mathematisch begabter als Frauen", etwas über sich geschrieben. Das hat etwas in mir bewegt. Es klingt zunächst unspektakulär. Er hat etwas über seine Schullaufbahn geschrieben. Dass er in der Grundschule sehr gut war. Dass er aufs Gymnasium kam und zunächst sehr schlecht wurde. Dass er in der 8. Klasse sogar eine 5 in Mathe und 4- in Physik hatte und in den Jahren darauf wieder richtig gut wurde und mittlererweile sogar Physik studiert. Klingt erst einmal nach zwischenzeitlich extremer Pubertät. Jetzt aber dazu, was das Ganze mit mir zu tun hat...
Nun, ich habe mich selber wiedererkannt. Bei mir war das relativ ähnlich. Nur dass ich mittlererweile erkenne, dass ich in dem Zusammenhang psychisch kaputt gegangen bin.
Ich war in der Grundschule ein Musterschüler. Ich hatte nur Einsen, konnte gut lesen, bevor ich eingeschult wurde, erzählte Verwandten in den Sommerferien, wenn ich gefragt wurde, wie diese abliefen, dass es langweilig sei und ich die Schule vermissen würde, fehlte keinen einzigen Tag und kam sogar zur Schule, wenn es mir eigentlich schlecht ging usw. Allerdings hatte ich auch diesbezüglich sehr strenge Eltern, die man nie zufriedenstellen konnte. Sie haben sich extrem um meine Bildung gekümmert, aber leider nur gefordert statt intelligent zu fördern. Ja, sie haben sogar bei der Note 2 gemeckert. Ich war zwar selber zufrieden mit mir, aber meine Eltern waren enttäuscht. So habe ich irgendwann also Arbeiten, die schlechter als 1 waren, nicht mehr zuhause gezeigt (in der Grundschule waren das noch nur Zweien). Ich wurde im Alter von 9 oder 10 in Programmierkurse für eigentlich 15-Jährige geschickt, wo ich logischerweise nicht viel kapierte (nur weil ich in der Grundschule sehr gut war, hieß das nicht, dass ich ein Genie bin), doch das konnte ich meinen Eltern kaum sagen...
Tja, das hat sich dann auch gezeigt, als ich aufs Gymnasium kam. Meine Noten sackten komplett ab. Es hieß in der Grundschule, dass das auch völlig normal sei und Gewöhnungszeit bedurfte, aber rechtfertige mal Eltern, die wegen einer 2 schon schief guckten, wieso du auf einmal fast überall 3 bis 4 stehst. Unmöglich konnte ich diese Noten zuhause zeigen. Davor hatte ich zu sehr Angst. Also versteckte ich sie, bis meine Eltern natürlich stutzig wurden und mit meinem Lehrer sprachen.
Der große Knall. Sämtliche PC-Spiele in den Müll geworfen, Internetanschluss gekündigt, Strafe, Strafe, Strafe, Geschrei, Vorwürfe, Strafe. Meine Eltern sagten, mit der Note 3 könne ich gleich aufhören mit der Schule und eine Ausbildung zum Friseur machen. Von da an hatte ich Angst vorm Versagen. Meine Leistungen haben sich auch nicht groß geändert in der nachfolgenden Zeit. Noten habe ich vereinzelt immer noch verheimlicht (die ganz Schlimmen). Ich hatte einen Notenschnitt von 3,5 und schlechter und nach jeder Zeugnisausgabe gab es zuhause Stress pur. Als ich älter wurde, hat sich das glücklicherweise immer mehr gebessert. Ich kann nicht sagen wieso. Vielleicht, weil ich mittlererweile so groß wie mein Vater war und dieser es auch nicht mehr wagte, mit gehobener flacher Hand zu drohen wie früher. Vielleicht, weil ich deshalb auch trotziger wurde. Auf jeden Fall habe ich es bis zum Abitur geschafft einen Schnitt von 2,0 zu erreichen (ich muss nicht erwähnen, dass meine Eltern davon enttäuscht waren, weil sie einen 1er-Schnitt wollten, mir nichtmal gratulierten und ich sie dann auch nicht zur Abi-Verleihung mitgenommen habe?), obwohl ich, und das ist jetzt mein eigentliches Problem, ständig Angst habe. Angst vorm Versagen, Angst davor, mit dem Lernen zu beginnen und es vielleicht doch nicht zu begreifen. Angst, dumm zu sein und das bisherige vielleicht doch nur durch Glück erreicht zu haben. Ich lese in meiner Freizeit einen Artikel, zum Beispiel hier im 3DCenter und wenn ich einen Satz oder Sachverhalt nicht sofort auf Anhieb begreife, ist schon alles verloren. Dann mache ich mir nur noch Gedanken darüber, wieso ich das jetzt nicht verstanden habe, ob ich zu dumm bin usw. Mittlererweile habe ich schon Angst vorm Denken, um das Risiko zu vermeiden, etwas evtl. nicht zu verstehen. Wenn ich Schach mit jemandem spiele und verliere, würde ich mir den ganzen Tag "ich Idiot" vorwerfen. Man hat mir nicht beigebracht, dass man nicht ständig und überall der Gewinner sein kann. Man hat mir nicht gesagt: "Es ist ok auch mal eine 5 zu schreiben." Man hat von mir nur gefordert und wenn das Resultat nicht gefiel, war ich ein Versager. Ich habe an gar nichts Spaß.
Mein Sozialleben ist da nicht anders. Ich gehe auch nicht raus zum Feiern oder Party machen wie sonstige Menschen in meinem Alter. Diskos, Mädchen, soziale Kontakte... Lieber zuhause bleiben statt sich eventuellen Konfrontationen zu stellen. Ich kann sowieso nicht spontan sein. Ich versuche mich stikt an irgendwelche Regeln zu halten. Perfekt zu wirken. Ich kann nicht einfach so über Dinge sprechen, die mir unwichtig erscheinen. Das Problem dabei ist, dass ich mir selber unwichtig erscheine und das, was ich sage. Ich wüsste nicht, worüber ich reden sollte.
Und jetzt kommt noch die Pointe und wieso mich "123456"s Geschichte an meine erinnert hat: Ich studiere mittlererweile Mathematik. Aber mit der ständigen Angst: "Du studierst Mathe. Du musst alle mathematischen Aufgaben doch SOFORT begreifen können."
Es hat bei mir Auswüchse angenommen, dass ich sogar versuche, nur mit wohlüberlegten, abwechslungsreichen, anspruchsvollen Wörtern zu kommunizieren und jegliche Widersprüche zu vermeiden. Was passiert aber, wenn man das versucht? Was passiert, wenn man ständig versucht, alles perfekt zu machen? Jegliche Gedankengänge werden blockiert bis die passende, die "perfekte Variable" gefunden wurde, selbst wenn es eigentlich noch so ein unbedeutender Sachverhalt sein mag. Da das aber unmöglich ist, man die "perfekte Variable" nicht immer finden kann, verschwende ich Zeit bei schriftlichen Aufgaben. In der Schule hatten meine Deutsch-Aufsätze 400 Wörter, wobei die Sätze entsprechend verzwickt waren und so viele Informationen wie möglich enthielten, während Mitschüler doppelt so viel schrieben. Texte von mir kommen mir trotzdem immer zu simpel vor. Wie dieser hier auch.
Das Ganze hat Auswirkungen auf mein gesamtes Handeln. Ich spiele sogar ungern neue Spiele. Ich höre Musik, die ich seit Monaten täglich 100 mal höre. Ich habe Angst vor Neuem, vor Herausforderungen...
Die Frage ist jetzt... Ich weiß, was mein Problem ist. Ich weiß, woher es ungefähr rührt... Ich weiß aber nicht, was ich dagegen tun könnte. Soll ich zu einem Psychologen gehen? Selbst davor hätte ich Angst. Angst, einem anderen Menschen zu offenbaren, dass ich solche "Fehler" habe. Angst, nicht ernstgenommen zu werden. Angst vor Peinlichkeiten.
Nun, ich habe mich selber wiedererkannt. Bei mir war das relativ ähnlich. Nur dass ich mittlererweile erkenne, dass ich in dem Zusammenhang psychisch kaputt gegangen bin.
Ich war in der Grundschule ein Musterschüler. Ich hatte nur Einsen, konnte gut lesen, bevor ich eingeschult wurde, erzählte Verwandten in den Sommerferien, wenn ich gefragt wurde, wie diese abliefen, dass es langweilig sei und ich die Schule vermissen würde, fehlte keinen einzigen Tag und kam sogar zur Schule, wenn es mir eigentlich schlecht ging usw. Allerdings hatte ich auch diesbezüglich sehr strenge Eltern, die man nie zufriedenstellen konnte. Sie haben sich extrem um meine Bildung gekümmert, aber leider nur gefordert statt intelligent zu fördern. Ja, sie haben sogar bei der Note 2 gemeckert. Ich war zwar selber zufrieden mit mir, aber meine Eltern waren enttäuscht. So habe ich irgendwann also Arbeiten, die schlechter als 1 waren, nicht mehr zuhause gezeigt (in der Grundschule waren das noch nur Zweien). Ich wurde im Alter von 9 oder 10 in Programmierkurse für eigentlich 15-Jährige geschickt, wo ich logischerweise nicht viel kapierte (nur weil ich in der Grundschule sehr gut war, hieß das nicht, dass ich ein Genie bin), doch das konnte ich meinen Eltern kaum sagen...
Tja, das hat sich dann auch gezeigt, als ich aufs Gymnasium kam. Meine Noten sackten komplett ab. Es hieß in der Grundschule, dass das auch völlig normal sei und Gewöhnungszeit bedurfte, aber rechtfertige mal Eltern, die wegen einer 2 schon schief guckten, wieso du auf einmal fast überall 3 bis 4 stehst. Unmöglich konnte ich diese Noten zuhause zeigen. Davor hatte ich zu sehr Angst. Also versteckte ich sie, bis meine Eltern natürlich stutzig wurden und mit meinem Lehrer sprachen.
Der große Knall. Sämtliche PC-Spiele in den Müll geworfen, Internetanschluss gekündigt, Strafe, Strafe, Strafe, Geschrei, Vorwürfe, Strafe. Meine Eltern sagten, mit der Note 3 könne ich gleich aufhören mit der Schule und eine Ausbildung zum Friseur machen. Von da an hatte ich Angst vorm Versagen. Meine Leistungen haben sich auch nicht groß geändert in der nachfolgenden Zeit. Noten habe ich vereinzelt immer noch verheimlicht (die ganz Schlimmen). Ich hatte einen Notenschnitt von 3,5 und schlechter und nach jeder Zeugnisausgabe gab es zuhause Stress pur. Als ich älter wurde, hat sich das glücklicherweise immer mehr gebessert. Ich kann nicht sagen wieso. Vielleicht, weil ich mittlererweile so groß wie mein Vater war und dieser es auch nicht mehr wagte, mit gehobener flacher Hand zu drohen wie früher. Vielleicht, weil ich deshalb auch trotziger wurde. Auf jeden Fall habe ich es bis zum Abitur geschafft einen Schnitt von 2,0 zu erreichen (ich muss nicht erwähnen, dass meine Eltern davon enttäuscht waren, weil sie einen 1er-Schnitt wollten, mir nichtmal gratulierten und ich sie dann auch nicht zur Abi-Verleihung mitgenommen habe?), obwohl ich, und das ist jetzt mein eigentliches Problem, ständig Angst habe. Angst vorm Versagen, Angst davor, mit dem Lernen zu beginnen und es vielleicht doch nicht zu begreifen. Angst, dumm zu sein und das bisherige vielleicht doch nur durch Glück erreicht zu haben. Ich lese in meiner Freizeit einen Artikel, zum Beispiel hier im 3DCenter und wenn ich einen Satz oder Sachverhalt nicht sofort auf Anhieb begreife, ist schon alles verloren. Dann mache ich mir nur noch Gedanken darüber, wieso ich das jetzt nicht verstanden habe, ob ich zu dumm bin usw. Mittlererweile habe ich schon Angst vorm Denken, um das Risiko zu vermeiden, etwas evtl. nicht zu verstehen. Wenn ich Schach mit jemandem spiele und verliere, würde ich mir den ganzen Tag "ich Idiot" vorwerfen. Man hat mir nicht beigebracht, dass man nicht ständig und überall der Gewinner sein kann. Man hat mir nicht gesagt: "Es ist ok auch mal eine 5 zu schreiben." Man hat von mir nur gefordert und wenn das Resultat nicht gefiel, war ich ein Versager. Ich habe an gar nichts Spaß.
Mein Sozialleben ist da nicht anders. Ich gehe auch nicht raus zum Feiern oder Party machen wie sonstige Menschen in meinem Alter. Diskos, Mädchen, soziale Kontakte... Lieber zuhause bleiben statt sich eventuellen Konfrontationen zu stellen. Ich kann sowieso nicht spontan sein. Ich versuche mich stikt an irgendwelche Regeln zu halten. Perfekt zu wirken. Ich kann nicht einfach so über Dinge sprechen, die mir unwichtig erscheinen. Das Problem dabei ist, dass ich mir selber unwichtig erscheine und das, was ich sage. Ich wüsste nicht, worüber ich reden sollte.
Und jetzt kommt noch die Pointe und wieso mich "123456"s Geschichte an meine erinnert hat: Ich studiere mittlererweile Mathematik. Aber mit der ständigen Angst: "Du studierst Mathe. Du musst alle mathematischen Aufgaben doch SOFORT begreifen können."
Es hat bei mir Auswüchse angenommen, dass ich sogar versuche, nur mit wohlüberlegten, abwechslungsreichen, anspruchsvollen Wörtern zu kommunizieren und jegliche Widersprüche zu vermeiden. Was passiert aber, wenn man das versucht? Was passiert, wenn man ständig versucht, alles perfekt zu machen? Jegliche Gedankengänge werden blockiert bis die passende, die "perfekte Variable" gefunden wurde, selbst wenn es eigentlich noch so ein unbedeutender Sachverhalt sein mag. Da das aber unmöglich ist, man die "perfekte Variable" nicht immer finden kann, verschwende ich Zeit bei schriftlichen Aufgaben. In der Schule hatten meine Deutsch-Aufsätze 400 Wörter, wobei die Sätze entsprechend verzwickt waren und so viele Informationen wie möglich enthielten, während Mitschüler doppelt so viel schrieben. Texte von mir kommen mir trotzdem immer zu simpel vor. Wie dieser hier auch.
Das Ganze hat Auswirkungen auf mein gesamtes Handeln. Ich spiele sogar ungern neue Spiele. Ich höre Musik, die ich seit Monaten täglich 100 mal höre. Ich habe Angst vor Neuem, vor Herausforderungen...
Die Frage ist jetzt... Ich weiß, was mein Problem ist. Ich weiß, woher es ungefähr rührt... Ich weiß aber nicht, was ich dagegen tun könnte. Soll ich zu einem Psychologen gehen? Selbst davor hätte ich Angst. Angst, einem anderen Menschen zu offenbaren, dass ich solche "Fehler" habe. Angst, nicht ernstgenommen zu werden. Angst vor Peinlichkeiten.