PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Diskussion zu: News des 3./4. Januar 2009


Leonidas
2009-01-04, 14:45:16
Link zur News:
http://www.3dcenter.org/news/2009-01-04

Hvoralek
2009-01-04, 17:54:03
Zum Thema "gerichtliche Überprüfung von EG- Richtlinien":
EG- Richtlinien schreiben vor, dass etwas zu regeln ist und auch, wie es ungefähr zu regeln ist. Sie lassen allerdings einigen Spielraum bei der genauen Umsetzung. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Umsetzung solcher Richtlinien muss man deshalb zwei Dinge unterscheiden: Soweit Regelungen angegriffen werden, die die Richtlinie nicht vorschreibt, sondern die sich der nationale Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung ausgedacht hat und die er auch anders hätte regeln können, werden die ganz normal von nationalen Gerichten überprüft und ggf. verworfen.

Die Umsetzung von Inhalten, die durch die Richtline zwingend vorgeschrieben sind, kann dagegen von nationalen Gerichten im Grundsatz nicht für rechtswidrig erklärt werden. Das ist m.W. auch praktisch unstreitig: Normalerweise bricht EU- Recht nationales Recht, auch Verfassungsrecht. EU- Recht wiederum wird nur vom EuGH überprüft. Soweit also VDS- Regelungen, die in der RL vorgeschrieben sind, angegriffen werden, wird das BVerf dem EuGH die Frage vorlegen, ob diese Vorschriften in der RL wirksam sind. Der prüft dann, ob die RL rechtmäßig ist, und zwar nach formellen Gesichtspunkten (v.a. Kompetenzfragen, schon das ist hier sehr fraglich) und nach inhaltlichen (Grundrechtsverletzungen, Verhältnismäßigkeit usw.). Wenn er die RL verwirft, prüft das BVerfG die nationale Umsetzung weiter normal nach nationalem Recht; die RL, die das bisher verhinderte, gibt es ja dann nicht mehr. Kommt der EuGH dagegen zum Ergebnis, die RL sei wirksam, kann das BVerfG die darin zwingend vorgeschriebenen Regelungen nicht mehr verwerfen, auch wenn sie gegen dt. Recht oder gar gegen das GG verstoßen.

Das klingt erst einmal ziemlich eigenartig. Der Grund ist ganz simpel: EG- Recht wäre zwecklos, wenn sich jeder Staat so einfach jeder Regelung entziehen könnte. Rechtsdogmatisch ist das auch möglich, wenn die Ratifikation der Verträge als Verfassungsänderung durchgeführt wird.

Ein bisher eher theoretisches Problem ist die Frage, ob es da Grenzen gibt. Der EuGH meint, EU- Recht gehe immer und ausnahmslos nationalem Recht vor. Das BVerfG prüft vorerst keine EU- Rechtsakte, hält sich aber ein Hintertürchen offen: Wenn es auf EU- Ebene keinen Grundrechtsschutz mehr gibt, der zumindest grob mit dem des GG vergleichbar ist, möchte es damit doch anfangen. Die bisherige EuGH- Rechtsprechung sieht es da wohl als völlig ausreichend an.

Ich persönlich halte das übrigens beides für falsch. Welche Kompetenzen die EU hat, hängt davon ab, welche der verfassungsändernde Gesetzgeber auf sie übertragen konnte. Das sind alle, über die er durch Verfassungsänderung verfügen kann, also in D alle bis auf die Staatsgrundsätze des GG (Achtung der Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Sozialstaat, Republik, Föderalismus). Demnach könnte auch die nationale Rspr. EU- Regelungen verwerfen, die gegen einen dieser Grundsätze verstößt.

Das Thema ist durch den "Verfassungs"- Vertrag und den Vertrag von Lissabon wieder akut geworden. Beide sahen einen generellen und unbedingten Vorrang von Gemeinschaftsrecht vor nationalem Recht vor, sodass sich die Frage stellt, ob D die überhaupt hätte ratifizieren können. Ich denke ja, weil die EU mMn weder nach den Verträgen i.d.F. von Nizza noch i.d.F. von Lissabon überhaupt irgendwelche Kompetenzen hat, in diese Staatsprinzipien einzugreifen.

Leonidas
2009-01-05, 11:03:03
Sehr interessantes Posting, ich stimme allerdings inhaltlich nicht komplett zu.

Meines Erachtens nach muß durch EU-Recht ausgelöstes nationales Recht durchaus in die nationale Verfassung passen, innerhalb der EU ist das bis vor den Vertrag von Lissabon auch nicht anders vorgesehen. EU-Recht darf zwar nationales Recht brechen, dies schließt allerdings nicht die jeweilige nationale Verfassung mit ein.

Rein rechtstechnisch geht es auch gar nicht anders. Die Verfassung wird als oberstes nationales Rechtsgefüge verstanden, alle weiteren Rechtsakte können nur in deren Rahmen stattfinden. Selbst eine Übertragung der Verfassungsrecht müsste ihm Rahmen der Verfassung stattfinden. Hat die Verfassung keine entsprechenden Punkte (wie das GG), so ist eine Rechtsübertragung an die EU nicht möglich. Anders formuliert: Die deutsche Unterschrift unter den Vertrag von Lissabon (welcher sich das Recht einräumt, nationale Verfassungen zu brechen), wäre ungültig, weil die deutschen Vertreter nicht die Befugnis zu so einer Unterschrift haben.

Andererseits kann man es auch so sehen wie Du: Da die EU laut weiterhin geltendem deutschen Recht kein Recht hat, in die deutsche Verfassung einzugreifen, gilt diese Passage im Lissabon-Vertrag faktisch nur so lange, wie nicht die Verfassung berührt wird. Man kann es sogar ganz penibel betrachten und sagen, daß diese Klausel sich ja nur auf "normales Recht" bezieht, nicht auf Verfassungsrechte - schon allein, weil es rechtlich gar nicht zulässig wäre, ohne Volksentscheid generell in Verfassungsrechte einzugreifen.

Hvoralek
2009-01-05, 15:01:01
Das GG erlaubt sogar ausdrücklich, Kompetenzen an internationale Organisationen zu übertragen. Das ist in Art. 24 geregelt, in Art. 23 noch einmal ausdrücklich und detaillierter für die EU.

/edit: Selbst ohne diese Vorschriften wäre so eine Übertragung wohl möglich, wenn sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen wäre.

Leonidas
2009-01-06, 17:37:27
Übertrag von Kompetenzen hat nichts mit dem Übertrag von Grundrechten zu tun. Nach wie vor ist das GG das höchste auf deutschem Boden geltende Gesetz, alle andere Gesetze - auch EU-Recht - müssen dazu kompatibel sein. Ein Übertrag dieser Hoheitsfunktion ist im GG nicht vorgesehen und wäre daher erst nach Annahme einer neuen Verfassung realisierbar.

Hvoralek
2009-01-19, 16:32:24
Der verfassungsändernde Gesetzgeber könnte auch sämtliche Grundrechte beliebig zusammenstreichen, solange er denjenigen Kern erhält, den die Staatsprinzipien verlangen. Dann kann er natürlich auch jedenfalls insoweit die Anwendung dt. Grundrechte für supranationales Recht ausschließen. Das ist wohl auch politisch recht unproblematisch, wenn es auf dieser Ebene einen eigenen, vergleichbaren Grundrechtsschutz gibt.

Ich kann mich nur wiederholen: In der Fachwelt und auch beim BVerfG ist m.W. so gut wie unstreitig, dass EU- Recht im Grundsatz dem GG vorgeht, auch dessen Grundrechten. Ob es da doch Ausnahmen gibt und wie die genau aussehen, ist umstritten. Bei der VDS- Richtlinie sehe ich aber keinen Grund, warum da eine Ausnahme greifen sollte, egal ob man auf einen zumindest grob mit dem GG vergleichbaren Grundrechtsschutz abstellt (BVerfG) oder auf die Einhaltung der Staatsprinzipien des GG.