aths
2009-03-08, 12:54:46
Worum es geht
Bei mir zuhause liegen etliche Rechner griffbereit: ein paar normale Casio-Taschenrechner, programmierbare, einer mit Farbgrafik, andere mit grafischer Bruchdarstellung; auf Arbeit habe ich zwei auf Finanzrechnung-optimierte Tischrechner und einen einfachen Schulrechner. Jeder kann irgendwas besonders gut (daher wurde er gekauft.)
Kein Rechner ist der Rechner. Ich brauche was, um jede Aufgabe schnell zu lösen. Deshalb nehme ich nach Möglichkeit auch calc.exe. Der Windows-Taschenrechner ist für mich nur ein Notbehelf.
Um schnell zu rechnen sollte man die Zahl der Tastendrücke minimieren und die Möglichkeit haben, eine Fehleingabe im Betrieb einfach korrigieren zu können. Ich hätte auch gerne während der Eingabe schon Zwischenergebnisse, um sofort zu sehen, ob das Zwischenergebnis andeutet dass ich mich vertippt habe.
All das wird von UPN-Rechnern geboten. Also habe ich einen gekauft, den HP-35s.
UPN
Wem der Erfahrungsbericht zu technisch oder zu mathematisch wird, der kann gleich zum Ende springen ("Fazit"). Da UPN doch etwas ungewohnt ist und dies praktisch ein Alleinstellungsmerkmal von HP-Rechnern ist, will ich hier darauf aber eingehen.
Angenommen wir benötigen das Ergebnis von √(5+4). Die traditionelle Eingabe ist 5 + 4 = √ (5 Tasten). Bei neueren Rechnern gibt man ein: √ (4 + 5 = (5 oder 6 Tasten, je nach dem ob automatisch die öffnende Klammer kommt.)
In UPN tippt man immer erst die Zahl oder die Zahlen, dann die Operation. Außerdem kommt man ohne Klammern aus. Das heißt, man tippt: 4 Enter 5 + √.
Will man (2+3)*(4+5) berechnen, tippt man in UPN folgendes: 2 Enter 3 + 4 Enter 5 + *.
Das ist zunächst ungewohnt, aber UPN ist nicht nur einfach eine Art, Formeln schnell auszurechnen. Mit etwas Gewöhnung kommt einem der Modus viel sinnvoller vor.
Design
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a05.jpg
Der HP-35s sieht wie ein programmierbarer Oldschool-Taschenrechner aus. Er ist schwarz und wird in einer Tasche mit Reißverschluss geliefert. Insgesamt wirkt der Rechner wertig. Er ist aber leichter als er aussieht. Wäre er schwerer, würde er sicherlich noch wertiger wirken, wenn man ihn in der Hand hält (der 35s liegt gut in der Hand) freut man sich über das geringe Gewicht.
Die Farbgestaltung der Beschriftung erhöht die Übersicht: Auf der Taste steht in Weiß die Ziffer oder Funktion. Oberhalb der Taste ist in Gelborange die Shift-Funktion angegeben. Auf der Taste, aber unten im angeschrägten Bereich, steht in Cyan die Second-Shift-Funktion. Rechts daneben meistens noch in Rot ein Buchstabe von A-Z. Wer alte Computer wie den ZX Spectrum kennt, wird von der Gestaltung automatisch angezogen.
Im Tastaturfeld findet man rechts oben einen Cursor-Block, welcher das Oldschool-Design durchbricht, da der Block aus Pfeiltasten bei Taschenrechnern eine relativ neue Erfindung ist.
Tasten
Die Tasten geben im Vergleich zu gewöhnlichen Rechern einen Widerstand. Dank der Anschrägung unten lassen sich die Mehrfachbelegungen gut auseinanderhalten. Für superschnelle Tipper ist die Tastatur nichts. Man hat beim Eingeben fast das Gefühl, einen alten Computer zu bedienen. Das ist positiv gemeint, die Interaktion mit dem Taschenrechner besteht ja darin, Tasten zu drücken. Beim HP-35s hat man keine Wackeldinger sondern fast schon sowas wie einen vernünftigen Druckpunkt.
Nachdem man den 35s bedient hat, hat man noch für eine gewisse Zeit eine gesteigerte Sensitivität für Tastenanschläge. Dazu tippt man direkt nach der 35s-Benutzung auf einem Casio-Rechner rum oder auf einem x-beliebigen PC-Keyboard und dann weiß man, was ich meine.
Layout
Der HP-35s weicht vom gewohnten Taschenrechner-Layout ab: "On" befindet sich unten links. Die Shift-Tasten sind nicht wie gewohnt oben links, sondern in der unteren Hälfte. Dazu gibts eine große Enter-Taste.
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a07.jpg
Dankenswerterweise sind wichtige Funktionen ohne Shift verfügbar. Dazu gehört:
"1/x": Bei meiner Art zu rechnen brauche ich ständig den Kehrwert.
"x‹›y": Die letzten beiden automatisch gespeicherten Ergebnisse zu tauschen bietet viele Möglichkeiten.
"R↓": Durch den zu Stack rollen ist wichtig um auf ältere Ergebnisse zuzugreifen.
"RCL": Gespeicherte Variablen abzurufen geht mit einer Taste + Variablentaste.
Leider ist Zugriff auf "Lastx" (sowas wie "Ans") und "STO" (Variable speichern) nur mit Shift möglich.
Die Ausrichtung des Rechners ist hochkant. Ein Rechner im Querformat wirkt professioneller, das war sicher auch ein Erfolgsgeheimnis vom HP-12c. Doch das Hochkant-Format wirkt auf Taschenrechner bezogen natürlich wissenschaftlicher.
Anwendung
Das Display ist bei Tageslich gut ablesbar, bei reiner Zimmerbeleuchtung im schrägen Winkel jedoch zu schwachkontrastig. Das Gerät steht immerhin gut rutschfest auf dem Schreibtisch. Der Rechner ist oben dicker als unten. Somit ist das Tastaturfeld leicht schräg, was das Tippen erleichtert.
Obwohl der HP-35s einige nervige Eigenschaften hat (dazu später mehr) wirkt er im Wesentlichen durchdacht. Man kann den Rechner als normalen UPN-Rechner mit Stack aus vier Registern nutzen. Wer auf UPN kein Bock hat, schaltet in den algebraischen Modus und verwendet den HP-35s wie einen normalen modernen Taschenrechner.
Es lohnt sich aber, sich mit UPN und der Stack-Verwaltung etwas zu beschäftigen. UPN ist kein Gimmick um mal was anderes zu bieten, sondern eine vernünftige Methode zu rechnen. Da im Stack immer die letzten Zwischenergebnisse vorgehalten werden, und man außerdem Zugriff auf zusätzliche Variablen hat, lassen sich auch extrem lange Formeln effizient berechnen. Der HP-35s bietet außerdem einen extragroßen Wertebereich von E-499 bis E499, normale Rechner unterstützen nur E±99.
Allerdings ist die Genauigkeit auf 12 Stellen limitiert. Das reicht für fast alles aus, andere wissenschaftliche Rechner bieten jedoch 15 Stellen Genauigkeit.
Dinge wie Umrechnung zu oder von Meilen, Pfund (lb), Galeone, Zoll und Grad Fahrenheit sind direkt integriert, per Menü erhält man Zugriff auf 40 physikalische Konstanten plus die Konstante e.
Der Rechner versteckt einige Funktionalität in Menüs um die Zahl der Tasten bzw. Tastenbelegungen zu reduzieren. Was direkt (auch mit Shift) erreichbar ist, wurde auf kein bestimmtes Einsatzgebiet optimiert. Egal ob man Astrophysiker ist und statistischer Rechnung ausführt, als Architekt die Wohnfläche berechnet oder als Mediziner Datenreihen erfasst: Keiner fühlt sich speziell bevorzugt oder benachteiligt.
Der Abiturient muss sich ausgehend vom Casio- oder TI-Design etwas umgewöhnen. Der Student der eine Vorlesung in Elektrotechnik oder höherer Mathematik besucht, muss beim Umgang mit komplexen Zahlen die Grenzen des HP-35s kennen, dürfte dann aber mit dem Rechner die gesuchten Ergebnisse dank UPN schneller als mit anderen wissenschaftlichen Rechnern ausrechnen.
Wenn man es nicht hinbekommt, eine Formel umzustellen um eine gesuchte Größe zu berechnen, kann man den eingebauten Solver nutzen. Ich habe es mit dem Solver zum Beispiel geschafft, die Bildhöhe eines 5:4-TFT-Monitors mit 19" Diagonale ausrechnen zu lassen, allerdings ist mir bei der HP-Solve-Logik einiges noch unklar. Auch den goldenen Schnitt kann man sich per Solver berechnen lassen indem man zum Beispiel "A-1=1/A" nach A lösen lässt.
Der Bruchmodus erlaubt "/c"-Werte von 1 bis 4095. Man kann per Flag einstellen ob /c den größten zulässigen Nenner darstellen soll, oder ob der Kehrwert von /c den kleinsten Faktor repräsentiert. Der Rechner zeigt außerdem an, ob der Bruch die Zahl exakt repräsentiert oder ob sie eigentlich größer oder kleiner ist.
Reduktion
Moderne programmierbare Taschenrechner bieten einen PC-Anschluss um per Datenkabel Programme zu sichern oder fertige Programme aus dem Internet aufzuspielen. Nicht so der HP-35s. Programme sind manuell einzutippen und lassen sich nicht auf einem externen Datenträger sichern.
Das zweizeilige Display setzt die Zeichen aus Bildpunkten zusammen. Grafik wird aber keine geboten. Die Auflösung ist grenzwertig.
Viele Taschenrechner arbeiten mit Solarzellen und greifen auf die Batterie nur zurück wenn es kein Licht gibt. Der 35s arbeitet ausschließlich auf Batterien (2x CR 2032.)
Im UPN-Modus kann man – sofern die richtige Berechnung-Reihenfolge gewählt wird – jeden Ausdruck mit nur vier Stack-Registern berechnen. Der HP35-s bietet genau vier Stack-Register. Die Integration zusätzlicher Register käme faulen Leuten entgegen, doch es gibt nur die vier unbedingt notwendigen Register.
Der HP-35s bietet lineare Regression, aber keine quadratische oder kubische Approximation. Die Lösung linearer Gleichungssysteme wird unterstützt, aber nur für schlappe zwei oder maximal drei Unbekannte. Als Datentyp werden 2D- und 3D-Vektoren unterstützt, aber keine größeren. Matrizen-Support wird gleich gar nicht geboten.
All diese Beschränkungen wirken jedoch sinnvoll. Man will keinen Überflieger der alles integriert hat, jedoch ein intensives Studium der Bedienung erfordert. Man will einen Taschenrechner mit dem man schnell zu Ergebnissen kommt und der alles oft Benutzte integriert hat. Den Rest kann man ja programmieren.
Programmierbarkeit
Mit dem Programmieren habe ich mich noch nicht eingehend befasst. Man kann bis zu 26 Programme speichern die als Namen einen der 26 Buchstaben des Alphabets haben. Eine aussagekräftige Benennung ist leider nicht möglich. Dank etwa 30 Kilobyte freiem Speicher lassen sich jedoch auch große Programme schreiben (wobei es mir so aussieht als sei ein sinnvolles Programm auf etwa 1000 Zeilen begrenzt.) Unterprogramme werden unterstützt, man kann bis zu 20 Ebenen tief verschachteln. Man kann per Goto-Befehl direkt zu einer Zeile springen. Die Zeilen-Sprungadresse des Goto-Befehls wird beim Editieren (Zeile einfügen oder löschen) automatisch angepasst.
Man hat neben 26 Variablen (ebenfalls A-Z) die Möglichkeit, vom Programmspeicher was abzuknapsen und es für zusätzliche Variablen zu nutzen. Indirekte Adressierung (Registeradresse steht in einer Variable) wird unterstützt. Wenn ich die Anleitung richtig verstehe, bekommt man mittels indirekter Adressierung auch die Inhalte anderer Register, die zum Beispiel für die eingebauten Statistikfunktionen benutzt werden.
STO und RCL lassen sich interessanterweise mit einer der vier Grundoperationen (+ - * /) verbinden. Damit lassen sich Berechnungen bereits beim Abspeichern oder Abrufen einer Variablen ausführen, was Programme verkürzt.
Man findet im Internet recht schnell HP-35s-Programme, um zum Beispiel auch relativ große Matrizen zu invertieren. Die Programme muss man manuell eintippen, aber man bekommt eine Ahnung dass sich dank 30 kByte Speicher fast jedes Problem lösen lässt ohne einen richtigen Computer zu benötigen.
Wer nicht gleich ein richtiges Programm schreiben will, tippt im Gleichungsmodus eine Gleichung ein. Dies reicht oftmals aus und ist auch deshalb interessant, weil man die Gleichung für jede Unbekannten lösen lassen kann. So lassen sich mit derselben Formel alle möglichen Sachen ausrechnen. Das Handbuch bietet dafür ein interessantes Beispiel aus der Finanzmathematik.
Neben einigen Flags zur Steuerung der Taschenrechner-Funktionalität gibt es auch frei verwendbare Flags, dessen Status sogar im Display angezeigt wird. Der HP-35s versteht sich als ernsthaft programmierbarer Rechner.
Macken (seltsame Eigenschaften)
Eine Sachen verwundern beim 35s.
- In Volldarstellung ist der Exponent nicht sichtbar, man muss nach rechts scrollen. Das hätte behoben werden können wenn das Display aus einer durchgehenden Punktmatrix bestünde und in Volldarstellung ein schmalerer Zeichensatz gewählt worden wäre. Die Volldarstellung ist praktisch unbrauchbar.
- Es gibt keinen intelligenten Darstellungsmodus, der nur so viele Nachkomma-Stellen wie nötig anzeigt und bei sehr großen und sehr kleinen Zahlen automatisch auf Exponenten-Darstellung wechselt. Beide Punkte zusammen bedeuten, dass man eine (von Casio- und TI-Nutzung ausgehend) ungewohnte Ergebnisdarstellung hat.
- Sin(π) ergibt auf dem HP-35s einen Wert ungleich Null, da π mit 12 Stellen nicht exakt darstellbar ist (Bild im Fix-8-Modus damit man den Exponenten voll sieht.)
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a06.jpg
- In der zwölften Stelle ungenau ist auch das Ergebnis des Ausdrucks e(-i*π).
- Bei Bruchdarstellung wird gelegentlich angezeigt dass der Bruch nicht exakt sei, obwohl er das ist. Ursache wiederum: Die Genauigkeit der 12-stelligen Mantisse reicht nicht aus.
- Die Zahleneingabe bei der Konvertierung zwischen verschiedenen Systemen (binär, dezimal, oktal, hexadezimal) ist sehr umständlich. Zudem wird mit unüblichen 36 Bit Breite gerechnet. Wer oft Zahlen umrechnet, braucht einen anderen Rechner.
- Eine Kurzeingabe von Zehnerpotenzen ("E10" statt 1E10") ist ebensowenig möglich wie eine Kurzeingabe von Brüchen. ("1..3" für ein Drittel wird nicht akzeptiert, man muss ".1.3" eintippen.)
- Nicht alle Funktionen können mit komplexen Zahlen umgehen. yx kann das, der natürliche Logarithmus kann das. Wurzel und Zehnerlogaritmus können das nicht. Die Logik, welche HP-35s-Funktionen komplexe Zahlen zulassen, lässt sich anhand des Tasten-Layouts nicht nachvollziehen. Wurzel und Zehnerlogarithmus lassen sich ja auch mittel yx bzw. ln lösen. Schade, dass der 35s bei einem komplexen Argument nicht automatisch intern die entsprechende Funktion nutzt.
- Wandelt man den Programmspeicher in Variablenspeicher um, scheint jede Variable immer 37 Bytes zu belegen. (Aus gut 30 kByte Speicher bekommt man maximal 801 Variablen.)
Dokumentation
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a08.jpg
Mit dem Rechner kommt ein dickes deutschsprachiges Handbuch im A5-Formt. Zusätzlich gibt es im Internet auf der HP-Website fünfundfünfzig PDF-Dateien in englischer Sprache, welche anhand von Beispielen einen Einblick in die Verwendungsmöglichkeiten des 35s geben.
HP legt Wert darauf, die Funktionalität immer anhand von konkreten Beispielen zu erklären. Man merkt, dass HP nicht nur Lust hat, Taschenrechner zu bauen, sondern auch gerne erklären will, wie sie funktionieren und was man damit alles machen kann.
Fazit
Nutze ich den Rechner? Ja. Für meine Zwecke hat der HP-35s alle bisherigen Taschenrechner überflüssig gemacht. Egal ob ich zwei Zahlen addieren will oder das Konvergenzverhalten einer geometrischen Reihe abschätzen möchte: Alles mache ich jetzt auf dem 35s.
Man muss aber wissen was man tut. Der HP-35s übernimmt das Rechnen, nicht das Denken. Viele bequeme Funktionen wie der Bruchmodus oder der Solver liefern unter bestimmten Umständen ein falsches Ergebnis.
Die UPN-Eingabe erfordert etwas Umgewöhnung, aber ich will nicht mehr zurück. Wahrscheinlich lege ich mir für die Arbeit, wo hin und wieder Zahlen zu addieren oder multiplizieren sind, einen zweiten UPN-Rechner zu, möglicherweise den HP-12c.
Bei mir zuhause liegen etliche Rechner griffbereit: ein paar normale Casio-Taschenrechner, programmierbare, einer mit Farbgrafik, andere mit grafischer Bruchdarstellung; auf Arbeit habe ich zwei auf Finanzrechnung-optimierte Tischrechner und einen einfachen Schulrechner. Jeder kann irgendwas besonders gut (daher wurde er gekauft.)
Kein Rechner ist der Rechner. Ich brauche was, um jede Aufgabe schnell zu lösen. Deshalb nehme ich nach Möglichkeit auch calc.exe. Der Windows-Taschenrechner ist für mich nur ein Notbehelf.
Um schnell zu rechnen sollte man die Zahl der Tastendrücke minimieren und die Möglichkeit haben, eine Fehleingabe im Betrieb einfach korrigieren zu können. Ich hätte auch gerne während der Eingabe schon Zwischenergebnisse, um sofort zu sehen, ob das Zwischenergebnis andeutet dass ich mich vertippt habe.
All das wird von UPN-Rechnern geboten. Also habe ich einen gekauft, den HP-35s.
UPN
Wem der Erfahrungsbericht zu technisch oder zu mathematisch wird, der kann gleich zum Ende springen ("Fazit"). Da UPN doch etwas ungewohnt ist und dies praktisch ein Alleinstellungsmerkmal von HP-Rechnern ist, will ich hier darauf aber eingehen.
Angenommen wir benötigen das Ergebnis von √(5+4). Die traditionelle Eingabe ist 5 + 4 = √ (5 Tasten). Bei neueren Rechnern gibt man ein: √ (4 + 5 = (5 oder 6 Tasten, je nach dem ob automatisch die öffnende Klammer kommt.)
In UPN tippt man immer erst die Zahl oder die Zahlen, dann die Operation. Außerdem kommt man ohne Klammern aus. Das heißt, man tippt: 4 Enter 5 + √.
Will man (2+3)*(4+5) berechnen, tippt man in UPN folgendes: 2 Enter 3 + 4 Enter 5 + *.
Das ist zunächst ungewohnt, aber UPN ist nicht nur einfach eine Art, Formeln schnell auszurechnen. Mit etwas Gewöhnung kommt einem der Modus viel sinnvoller vor.
Design
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a05.jpg
Der HP-35s sieht wie ein programmierbarer Oldschool-Taschenrechner aus. Er ist schwarz und wird in einer Tasche mit Reißverschluss geliefert. Insgesamt wirkt der Rechner wertig. Er ist aber leichter als er aussieht. Wäre er schwerer, würde er sicherlich noch wertiger wirken, wenn man ihn in der Hand hält (der 35s liegt gut in der Hand) freut man sich über das geringe Gewicht.
Die Farbgestaltung der Beschriftung erhöht die Übersicht: Auf der Taste steht in Weiß die Ziffer oder Funktion. Oberhalb der Taste ist in Gelborange die Shift-Funktion angegeben. Auf der Taste, aber unten im angeschrägten Bereich, steht in Cyan die Second-Shift-Funktion. Rechts daneben meistens noch in Rot ein Buchstabe von A-Z. Wer alte Computer wie den ZX Spectrum kennt, wird von der Gestaltung automatisch angezogen.
Im Tastaturfeld findet man rechts oben einen Cursor-Block, welcher das Oldschool-Design durchbricht, da der Block aus Pfeiltasten bei Taschenrechnern eine relativ neue Erfindung ist.
Tasten
Die Tasten geben im Vergleich zu gewöhnlichen Rechern einen Widerstand. Dank der Anschrägung unten lassen sich die Mehrfachbelegungen gut auseinanderhalten. Für superschnelle Tipper ist die Tastatur nichts. Man hat beim Eingeben fast das Gefühl, einen alten Computer zu bedienen. Das ist positiv gemeint, die Interaktion mit dem Taschenrechner besteht ja darin, Tasten zu drücken. Beim HP-35s hat man keine Wackeldinger sondern fast schon sowas wie einen vernünftigen Druckpunkt.
Nachdem man den 35s bedient hat, hat man noch für eine gewisse Zeit eine gesteigerte Sensitivität für Tastenanschläge. Dazu tippt man direkt nach der 35s-Benutzung auf einem Casio-Rechner rum oder auf einem x-beliebigen PC-Keyboard und dann weiß man, was ich meine.
Layout
Der HP-35s weicht vom gewohnten Taschenrechner-Layout ab: "On" befindet sich unten links. Die Shift-Tasten sind nicht wie gewohnt oben links, sondern in der unteren Hälfte. Dazu gibts eine große Enter-Taste.
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a07.jpg
Dankenswerterweise sind wichtige Funktionen ohne Shift verfügbar. Dazu gehört:
"1/x": Bei meiner Art zu rechnen brauche ich ständig den Kehrwert.
"x‹›y": Die letzten beiden automatisch gespeicherten Ergebnisse zu tauschen bietet viele Möglichkeiten.
"R↓": Durch den zu Stack rollen ist wichtig um auf ältere Ergebnisse zuzugreifen.
"RCL": Gespeicherte Variablen abzurufen geht mit einer Taste + Variablentaste.
Leider ist Zugriff auf "Lastx" (sowas wie "Ans") und "STO" (Variable speichern) nur mit Shift möglich.
Die Ausrichtung des Rechners ist hochkant. Ein Rechner im Querformat wirkt professioneller, das war sicher auch ein Erfolgsgeheimnis vom HP-12c. Doch das Hochkant-Format wirkt auf Taschenrechner bezogen natürlich wissenschaftlicher.
Anwendung
Das Display ist bei Tageslich gut ablesbar, bei reiner Zimmerbeleuchtung im schrägen Winkel jedoch zu schwachkontrastig. Das Gerät steht immerhin gut rutschfest auf dem Schreibtisch. Der Rechner ist oben dicker als unten. Somit ist das Tastaturfeld leicht schräg, was das Tippen erleichtert.
Obwohl der HP-35s einige nervige Eigenschaften hat (dazu später mehr) wirkt er im Wesentlichen durchdacht. Man kann den Rechner als normalen UPN-Rechner mit Stack aus vier Registern nutzen. Wer auf UPN kein Bock hat, schaltet in den algebraischen Modus und verwendet den HP-35s wie einen normalen modernen Taschenrechner.
Es lohnt sich aber, sich mit UPN und der Stack-Verwaltung etwas zu beschäftigen. UPN ist kein Gimmick um mal was anderes zu bieten, sondern eine vernünftige Methode zu rechnen. Da im Stack immer die letzten Zwischenergebnisse vorgehalten werden, und man außerdem Zugriff auf zusätzliche Variablen hat, lassen sich auch extrem lange Formeln effizient berechnen. Der HP-35s bietet außerdem einen extragroßen Wertebereich von E-499 bis E499, normale Rechner unterstützen nur E±99.
Allerdings ist die Genauigkeit auf 12 Stellen limitiert. Das reicht für fast alles aus, andere wissenschaftliche Rechner bieten jedoch 15 Stellen Genauigkeit.
Dinge wie Umrechnung zu oder von Meilen, Pfund (lb), Galeone, Zoll und Grad Fahrenheit sind direkt integriert, per Menü erhält man Zugriff auf 40 physikalische Konstanten plus die Konstante e.
Der Rechner versteckt einige Funktionalität in Menüs um die Zahl der Tasten bzw. Tastenbelegungen zu reduzieren. Was direkt (auch mit Shift) erreichbar ist, wurde auf kein bestimmtes Einsatzgebiet optimiert. Egal ob man Astrophysiker ist und statistischer Rechnung ausführt, als Architekt die Wohnfläche berechnet oder als Mediziner Datenreihen erfasst: Keiner fühlt sich speziell bevorzugt oder benachteiligt.
Der Abiturient muss sich ausgehend vom Casio- oder TI-Design etwas umgewöhnen. Der Student der eine Vorlesung in Elektrotechnik oder höherer Mathematik besucht, muss beim Umgang mit komplexen Zahlen die Grenzen des HP-35s kennen, dürfte dann aber mit dem Rechner die gesuchten Ergebnisse dank UPN schneller als mit anderen wissenschaftlichen Rechnern ausrechnen.
Wenn man es nicht hinbekommt, eine Formel umzustellen um eine gesuchte Größe zu berechnen, kann man den eingebauten Solver nutzen. Ich habe es mit dem Solver zum Beispiel geschafft, die Bildhöhe eines 5:4-TFT-Monitors mit 19" Diagonale ausrechnen zu lassen, allerdings ist mir bei der HP-Solve-Logik einiges noch unklar. Auch den goldenen Schnitt kann man sich per Solver berechnen lassen indem man zum Beispiel "A-1=1/A" nach A lösen lässt.
Der Bruchmodus erlaubt "/c"-Werte von 1 bis 4095. Man kann per Flag einstellen ob /c den größten zulässigen Nenner darstellen soll, oder ob der Kehrwert von /c den kleinsten Faktor repräsentiert. Der Rechner zeigt außerdem an, ob der Bruch die Zahl exakt repräsentiert oder ob sie eigentlich größer oder kleiner ist.
Reduktion
Moderne programmierbare Taschenrechner bieten einen PC-Anschluss um per Datenkabel Programme zu sichern oder fertige Programme aus dem Internet aufzuspielen. Nicht so der HP-35s. Programme sind manuell einzutippen und lassen sich nicht auf einem externen Datenträger sichern.
Das zweizeilige Display setzt die Zeichen aus Bildpunkten zusammen. Grafik wird aber keine geboten. Die Auflösung ist grenzwertig.
Viele Taschenrechner arbeiten mit Solarzellen und greifen auf die Batterie nur zurück wenn es kein Licht gibt. Der 35s arbeitet ausschließlich auf Batterien (2x CR 2032.)
Im UPN-Modus kann man – sofern die richtige Berechnung-Reihenfolge gewählt wird – jeden Ausdruck mit nur vier Stack-Registern berechnen. Der HP35-s bietet genau vier Stack-Register. Die Integration zusätzlicher Register käme faulen Leuten entgegen, doch es gibt nur die vier unbedingt notwendigen Register.
Der HP-35s bietet lineare Regression, aber keine quadratische oder kubische Approximation. Die Lösung linearer Gleichungssysteme wird unterstützt, aber nur für schlappe zwei oder maximal drei Unbekannte. Als Datentyp werden 2D- und 3D-Vektoren unterstützt, aber keine größeren. Matrizen-Support wird gleich gar nicht geboten.
All diese Beschränkungen wirken jedoch sinnvoll. Man will keinen Überflieger der alles integriert hat, jedoch ein intensives Studium der Bedienung erfordert. Man will einen Taschenrechner mit dem man schnell zu Ergebnissen kommt und der alles oft Benutzte integriert hat. Den Rest kann man ja programmieren.
Programmierbarkeit
Mit dem Programmieren habe ich mich noch nicht eingehend befasst. Man kann bis zu 26 Programme speichern die als Namen einen der 26 Buchstaben des Alphabets haben. Eine aussagekräftige Benennung ist leider nicht möglich. Dank etwa 30 Kilobyte freiem Speicher lassen sich jedoch auch große Programme schreiben (wobei es mir so aussieht als sei ein sinnvolles Programm auf etwa 1000 Zeilen begrenzt.) Unterprogramme werden unterstützt, man kann bis zu 20 Ebenen tief verschachteln. Man kann per Goto-Befehl direkt zu einer Zeile springen. Die Zeilen-Sprungadresse des Goto-Befehls wird beim Editieren (Zeile einfügen oder löschen) automatisch angepasst.
Man hat neben 26 Variablen (ebenfalls A-Z) die Möglichkeit, vom Programmspeicher was abzuknapsen und es für zusätzliche Variablen zu nutzen. Indirekte Adressierung (Registeradresse steht in einer Variable) wird unterstützt. Wenn ich die Anleitung richtig verstehe, bekommt man mittels indirekter Adressierung auch die Inhalte anderer Register, die zum Beispiel für die eingebauten Statistikfunktionen benutzt werden.
STO und RCL lassen sich interessanterweise mit einer der vier Grundoperationen (+ - * /) verbinden. Damit lassen sich Berechnungen bereits beim Abspeichern oder Abrufen einer Variablen ausführen, was Programme verkürzt.
Man findet im Internet recht schnell HP-35s-Programme, um zum Beispiel auch relativ große Matrizen zu invertieren. Die Programme muss man manuell eintippen, aber man bekommt eine Ahnung dass sich dank 30 kByte Speicher fast jedes Problem lösen lässt ohne einen richtigen Computer zu benötigen.
Wer nicht gleich ein richtiges Programm schreiben will, tippt im Gleichungsmodus eine Gleichung ein. Dies reicht oftmals aus und ist auch deshalb interessant, weil man die Gleichung für jede Unbekannten lösen lassen kann. So lassen sich mit derselben Formel alle möglichen Sachen ausrechnen. Das Handbuch bietet dafür ein interessantes Beispiel aus der Finanzmathematik.
Neben einigen Flags zur Steuerung der Taschenrechner-Funktionalität gibt es auch frei verwendbare Flags, dessen Status sogar im Display angezeigt wird. Der HP-35s versteht sich als ernsthaft programmierbarer Rechner.
Macken (seltsame Eigenschaften)
Eine Sachen verwundern beim 35s.
- In Volldarstellung ist der Exponent nicht sichtbar, man muss nach rechts scrollen. Das hätte behoben werden können wenn das Display aus einer durchgehenden Punktmatrix bestünde und in Volldarstellung ein schmalerer Zeichensatz gewählt worden wäre. Die Volldarstellung ist praktisch unbrauchbar.
- Es gibt keinen intelligenten Darstellungsmodus, der nur so viele Nachkomma-Stellen wie nötig anzeigt und bei sehr großen und sehr kleinen Zahlen automatisch auf Exponenten-Darstellung wechselt. Beide Punkte zusammen bedeuten, dass man eine (von Casio- und TI-Nutzung ausgehend) ungewohnte Ergebnisdarstellung hat.
- Sin(π) ergibt auf dem HP-35s einen Wert ungleich Null, da π mit 12 Stellen nicht exakt darstellbar ist (Bild im Fix-8-Modus damit man den Exponenten voll sieht.)
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a06.jpg
- In der zwölften Stelle ungenau ist auch das Ergebnis des Ausdrucks e(-i*π).
- Bei Bruchdarstellung wird gelegentlich angezeigt dass der Bruch nicht exakt sei, obwohl er das ist. Ursache wiederum: Die Genauigkeit der 12-stelligen Mantisse reicht nicht aus.
- Die Zahleneingabe bei der Konvertierung zwischen verschiedenen Systemen (binär, dezimal, oktal, hexadezimal) ist sehr umständlich. Zudem wird mit unüblichen 36 Bit Breite gerechnet. Wer oft Zahlen umrechnet, braucht einen anderen Rechner.
- Eine Kurzeingabe von Zehnerpotenzen ("E10" statt 1E10") ist ebensowenig möglich wie eine Kurzeingabe von Brüchen. ("1..3" für ein Drittel wird nicht akzeptiert, man muss ".1.3" eintippen.)
- Nicht alle Funktionen können mit komplexen Zahlen umgehen. yx kann das, der natürliche Logarithmus kann das. Wurzel und Zehnerlogaritmus können das nicht. Die Logik, welche HP-35s-Funktionen komplexe Zahlen zulassen, lässt sich anhand des Tasten-Layouts nicht nachvollziehen. Wurzel und Zehnerlogarithmus lassen sich ja auch mittel yx bzw. ln lösen. Schade, dass der 35s bei einem komplexen Argument nicht automatisch intern die entsprechende Funktion nutzt.
- Wandelt man den Programmspeicher in Variablenspeicher um, scheint jede Variable immer 37 Bytes zu belegen. (Aus gut 30 kByte Speicher bekommt man maximal 801 Variablen.)
Dokumentation
http://www.dudv.de/files/3dcf/35s/a08.jpg
Mit dem Rechner kommt ein dickes deutschsprachiges Handbuch im A5-Formt. Zusätzlich gibt es im Internet auf der HP-Website fünfundfünfzig PDF-Dateien in englischer Sprache, welche anhand von Beispielen einen Einblick in die Verwendungsmöglichkeiten des 35s geben.
HP legt Wert darauf, die Funktionalität immer anhand von konkreten Beispielen zu erklären. Man merkt, dass HP nicht nur Lust hat, Taschenrechner zu bauen, sondern auch gerne erklären will, wie sie funktionieren und was man damit alles machen kann.
Fazit
Nutze ich den Rechner? Ja. Für meine Zwecke hat der HP-35s alle bisherigen Taschenrechner überflüssig gemacht. Egal ob ich zwei Zahlen addieren will oder das Konvergenzverhalten einer geometrischen Reihe abschätzen möchte: Alles mache ich jetzt auf dem 35s.
Man muss aber wissen was man tut. Der HP-35s übernimmt das Rechnen, nicht das Denken. Viele bequeme Funktionen wie der Bruchmodus oder der Solver liefern unter bestimmten Umständen ein falsches Ergebnis.
Die UPN-Eingabe erfordert etwas Umgewöhnung, aber ich will nicht mehr zurück. Wahrscheinlich lege ich mir für die Arbeit, wo hin und wieder Zahlen zu addieren oder multiplizieren sind, einen zweiten UPN-Rechner zu, möglicherweise den HP-12c.