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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Projekt-Verantwortungsgrad als Entwickler


Gast
2016-11-16, 20:38:23
Mich interessiert aufgrund von jüngeren Gegebenheiten mal etwas von den anderen insb. studierten Software-Entwicklern hier in Deutschland.

In allen Stellen, in denen ich seit Teenageralter ausgeholfen bis heute festangestellt war, war die Aufgabenplanung- und Verteilung etwa immer einer dieser Fälle:

- Verantwortlicher: Wir brauchen dringend dieses oder jenes mit folgenden, groben Anforderungen, ich selbst muss mich um das kümmern.
- Verantwortlicher: Wir haben diese und jene Themen für das nächste Quartal, wer möchte sich was greifen? Mit konzipierenden und begleitenden Besprechungen über den Lauf der Zeit.
- Hilflose Kollegen aus anderen Abteilung: Wenn wir nur X könnten ... (später) Wahnsinn, wie viel Zeit wir jetzt alle sparen!
- Stellenbeschreibung: Du bist alleine mit allen Rechten und Pflichten.
- Semesterprojekt: Hier sind die Daten, da müsst ihr am Ende hin.
- Abschlussarbeit: Am Ende möchte die forschende Institution gerne dieses oder jenes ermöglicht sehen.
- Open-Source-Maintainer: Oh yes! Cool, danke, jemand macht wieder was.

Unterm Strich blieb aber in aller Regel eines: unabh. von technischen Frameworks immer eine gewisse Form von Verantwortung zu Entwurf, Konzeption, Umsetzung, Q&A, Mastering. Ich habe mich stets gefreut, mit zunehmendem Wissen und Erfahrung effizientere Lösungen in weniger Zeit hinzukriegen, und eigentlich bin ich nie an irgendetwas gescheitert oder musste zeitlich grob überziehen. Mein Zeug steckt bei kleinen Kunden, großen Kunden, internen Abnehmern im Produktiveinsatz, auf Github-Projekten, sogar in Publications, und soweit ich weiß sind alle zufrieden. In bezahlten Fällen war sogar oft genug Zeit in der Woche eingeräumt, sich selbst den Horizont zu erweitern und zu diskutieren.

Seit kurzem sieht meine Situation so aus: Inhaltlicher Projektleiter und Chefentwickler. Team vergleichsweise altershomogen (max 40), mit mir bunt gemischt aus Graduierten, quereingestiegenen Graduierten/Studienabbrechern und FIAE, die alle aus versch. Hiring-Konzepten stammen.

Die beiden schreiben die schönen Tickets. Der für den Kunden abzunehmende Teil ist pixelgenau vom PL gedummied und in weiten Teilen funktional spezifiziert. Technischer, sichtbar wie unter der Haube, Teil wird vom Chefentwickler in Seiten Docs/Wikis vorgekaut - manchmal zu einem Grad, wo man es schon hätte selbst realisieren können, finde ich.

Tickets werden dann genauso so stark zerlegt, dass der Erwartungswert mit Timeboxing ins Team passt. Heißt, ich bin in aller Regel 2-4x schneller als Y, sodass Ticket A für Y stark unterschätzt und Ticket B in meinem Fall stark überschätzt wird. Rechnerisch passt das am Ende des Entwicklungszyklus so ziemlich gut. So ist immer recht transparent Fortschritt zu erkennen.

Mein persönliches Problem: Ich hab mich in meiner Karriere noch nie so als Sachbearbeiter gesehen und gehe Richtung Bore-Out, ich überlege, rechne und entwickle gerne, aber aktuell befolge ich Tastenschläge, die mir das Ticket diktieren. Das hat folgende Hintergründe:

- Die weniger Erfahrenen kommen manchmal einfach von sich aus nicht so weit. Das Unternehmen möchte aber gerne ohne großes Gekante Plug-and-Play jeden an alles setzen können und keine Einzelverantwortlichkeit/Wissenssilos. Aus ökonomischer Sicht und für die Planung verständlich.
- Chefentwickler macht das mir bekannte Interessante bevorzugt alleine oder überlegt lieber in der Mittagspause mit Kollegen/Freelancern/Consultants aus alten Stellen, was dann am Ende nur noch auf unserem Tisch als Spec landet. Ich hinterfrage das nicht, einfach weil ich die genaue Idee dahinter manchmal gar nicht mehr kenne. Platzt am Ende hin und wieder auch mal.
- Mittlerweile werd ich sogar tatsächlich zurückgepfiffen, wenn ich meine Turn-Allocations durch habe, und den Rest der Zeit versuche irgendwas Sinnvolles zu tun, Altlasten zu beseitigen, die nicht auf dem Plan stehen. Das endet dann manchmal in Däumchendrehen meinerseits.

Mein Gehalt ist übrigens nach Branche, Abschluss und Erfahrung total im Schnitt, die Roadmap macht keinen besonders verheißungsvollen Eindruck. Nun meine Fragen:

- Ist das gerade besonders stumpfer Einsatz oder durchaus mit etwa einer Chance von 1:5 für jemanden mit meinem Background zu erwarten?
- Was sind sinnvolle Maßnahmen? Eigentlich spielt die Situation etwas in meine Hände, es gibt jedes Jahr Boni, ordentlich finanzielle Auszahlungen für Werben neuer Entwickler Minions, die bei Eigeninitiazive hingegen echt picky gesucht und begutachtet werden, eine gewisse Verzweiflung, dass bald wieder jemand weg sein wird. Also:
-- Gleichartige Kollege sind insg. eher heterogen zu der Situation eingestellt, ich kann bei unserer Größe nur schwer relativieren. Ich könnte mich hinstellen und sagen, dass mich das Alles langweilt, vermute aber, dass eher als Angriff gewertet wird. Irgendwas?
-- Die Situation ansprechen und um Bespaßung bitten. Habe mich etwas schlau gemacht, gebenchmarkt, recherchiert. Worst-case: strategisch gibt es wirklich nichts spannendes mehr für mich auf der Karte/Unternehmensleitung pocht auf gewisse Ziele und ohne Mittel für was anderes.
-- Bluffen und sagen, warum man die Firma gerade nicht den wirklich fähigen Leuten empfehlen würde und dass so von mir kein neuer kommen wird.
-- Exit-Plan vorlegen, wenn weder Deals noch mehr Lebensqualität absehbar sind. Und woanders weiter hoffen?

Eure Erfahrungen und Ideen für so eine Situation erwünscht. :)

registrierter Gast
2016-11-16, 23:30:11
Unbedingt die Firma wechseln.

Es gibt so unfassbar viele geile Stellen als Entwickler, wo man richtig gefordert wird, gefördert wird, mit Profis auf Augenhöhe fachsimpeln kann, nicht mit Nulpen und deren Fehler rumschlagen muss, wo ordentlich was geschafft werden muss - aber ohne Stress dank guter Planung, man sich im richtigen Projektmanagement einbringen kann und die Software zusammen weiterbringt und obendrein noch ein vorzügliches Gehalt erhält.

Und du gehst Werktag für Werktag zu einem Job, bei dem die Bedingungen maximal Standard sind. ;D

Monger
2016-11-17, 02:07:50
Mein erster Impuls als ich das gelesen habe:
Ich wäre froh, wenns in meinem Projekt so langweilig wäre. Ein Projekt wo Tickets ordentlich beschrieben und dimensioniert sind, klar verteilte Rollen... klingt doch super.

So im Extrem kenne ich das auch nur durch Bekannte bei anderen Firmen. Wenn ich bei uns den Flur runterlaufe, komme ich an sehr unterschiedlichen Projekten vorbei: die einen sind so halbwegs straff organisiert, die anderen haben eher so kreatives Chaos, und bei anderen ist es einfach nur Chaos pur, und jeder darf/muss alles machen. Druck, Panik und miese Stimmung sind die Folge.
Für die persönliche Weiterentwicklung ist Chaos natürlich super. Kommt halt drauf an was man sucht.

TongPo
2016-11-19, 19:51:49
das sind doch die besten vorraussetzungen, um mal die fühler auszustrecken. dein aktueller job ist eher langweilig, aber machbar und geld kommt auch genug rein. schau dich doch nebenbei nach neuen stellen um. geh zu ein paar vorstellungsgesprächen. im besten fall kommt ein toller job mit höherer bezahlung raus, im schlechtesten fall bist du immernoch in deinem jetzigen job unterwegs.

du kannst das ganze auch ruhig mal ansprechen in retrospektiven oder feedback gesprächen - oder auch einfach mal so beim vorgesetzten. natürlich in einem lockeren ton und nicht zu forsch. wenn sie mit solcher offenheit nicht umgehen können, dann ist es definitiv der falsche arbeitgeber.

minos5000
2016-11-20, 09:13:25
Ich kenne unzählige Entwickler, die mehr als die Hälfte ihrer Zeit Däumchen drehen und ebenso viele die vor Arbeit schier zusammenbrechen. Ob einen ein Job tatsächlich auslastet ist wie beim Lotto, reines Glück.

Ein AG ist sogar gesetzlich verpflichtet, seine Angestellten mit angemessener Arbeit zu versorgen.

Meine Auslastung auf der Arbeit beträgt seit Jahren etwa 10h/Monat. Einerseits sehr frustrierend, hat in meinem Fall aber auch den Vorteil, dass ich erst um 11 aufschlage und um 14 Uhr wieder die Biege mache ;)


just my 2 cents

Morale
2016-11-20, 09:25:32
Bei voller Bezahlung?
Schon krass.

minos5000
2016-11-20, 11:42:20
Bei voller Bezahlung?
Schon krass.
Jep, volle Bezahlung.

Morale
2016-11-20, 20:12:35
Also ich kenne zwar auch einige Personen die haben von ihrer 35h Woche vielleicht 10h Auslastung, aber die kommen wenigstens und tun so als ob sie arbeiten ;)

minos5000
2016-11-20, 20:56:51
Also ich kenne zwar auch einige Personen die haben von ihrer 35h Woche vielleicht 10h Auslastung, aber die kommen wenigstens und tun so als ob sie arbeiten ;)
Bei uns ist das nicht ungewöhnlich, etliche von uns die so wenig zu tun haben komme spät und gehen dafür früh. Da hat auch keiner was dagegen, solange die anfallende Arbeit erledigt wird.

Monger
2016-11-20, 21:49:12
Also ich kenne zwar auch einige Personen die haben von ihrer 35h Woche vielleicht 10h Auslastung, aber die kommen wenigstens und tun so als ob sie arbeiten ;)
Ich saß mal vier Monate ohne Projekt fest. 45 Stunden Woche, aber null Auslastung. Ich kam morgens ins Büro, setzte mich auf meinen Bürostuhl, drehte mich ne Weile im Kreis, las ein paar Zeitschriften, und ging nach rund 10 Stunden wieder.

Das war die schlimmste Phase in meinem bisherigen Arbeitsleben. Wäre das noch ein paar Monate so weitergegangen wäre ich glaub ausm Fenster gesprungen.
Damals wäre ich gar nicht erst auf die Idee gekommen, nicht zu kommen... aber rückblickend wäre das wahrscheinlich die vernünftigste Entscheidung gewesen.

PatkIllA
2016-11-20, 22:15:23
Da lob ich mir ja Produktentwicklung. Im Backlog dürften noch einige Mannjahre eingelastet sein.
Die 40h in der Woche verteile ich mir so wie es gerade passt. Kein Wecker, mal5h mal 10h+

Morale
2016-11-20, 22:31:35
Schon krass, auf der einen Seite werden Leute bei Leihfirmen gefeuert weil halt mal 3 Tage keine Arbeit da ist, auf der anderen sitzen Menschen bei voller Bezahlung wochen oder monatelang "rum" und bei euch gehe ich mal davon aus, dass es keine 8,50 sind die ihr verdient.

EPIC_FAIL
2016-11-21, 00:12:38
Da lob ich mir ja Produktentwicklung. Im Backlog dürften noch einige Mannjahre eingelastet sein.


Dito, jeder Entwickler in meiner Abteilung könnte bestimmt 80 Stunden die Woche über ein Jahr machen, und dennoch würde am Ende noch Arbeit liegen bleiben. Es gibt ja doch quasi immer etwas am Produkt zu verbessern.

TS-Gast
2016-11-21, 03:10:10
Danke für eure Antworten.

Meine Auslastung auf der Arbeit beträgt seit Jahren etwa 10h/Monat. Einerseits sehr frustrierend, hat in meinem Fall aber auch den Vorteil, dass ich erst um 11 aufschlage und um 14 Uhr wieder die Biege mache ;)

Alle Achtung, dass es so extreme Fälle gibt. Aber immerhin über die Anwesenheit ja kompensierbar - aber so aus einer Gesamtsicht, dass ich mich sinnvoll eingesetzt fühlen will, wäre das wohl auch für mich so auf Dauer nichts. In meinem Fall sind es netto wahrscheinlich knapp 3 von 5 Wochentagen Auslastung, aber ohne große Möglichkeit davonzusneaken.

Da lob ich mir ja Produktentwicklung. Im Backlog dürften noch einige Mannjahre eingelastet sein.

Bei uns gibt es umgerechnet sicher ebenso Mannmonate Backlog. Bloß: Das System hier verdient nicht, dass man Dinge vorgreift: Mimimi ... ist doch noch gar nicht geschätzt / ist doch noch gar nicht durchgesprochen / ist doch JETZT nicht wichtig / hat doch keinen Benefit mehr / ist doch gar nicht mit der Firmenleitung für aktuell geplant.

Schon krass, auf der einen Seite werden Leute bei Leihfirmen gefeuert weil halt mal 3 Tage keine Arbeit da ist, auf der anderen sitzen Menschen bei voller Bezahlung wochen oder monatelang "rum" und bei euch gehe ich mal davon aus, dass es keine 8,50 sind die ihr verdient.

Ja. Hier gibt es etliche gute Leute, die wahrscheinlich für nicht mal die Hälfte meines Lohns durchgehend mit vglw. Drecksarbeit beschäftigt sind. Find ich auch immer schräg, wenn gerade ich dann z.B. mit dem Gesicht erfreuter Abwechslung Geschirrspüler ausräume. Vor noch einiger Zeit war es wenigstens noch im Programm, mich mal mit (diesen) anderen auseinanderzusetzen und Gadgets verteilen zu können, die maßgeblich Arbeit vereinfacht und Vertrauen in uns bewirkt haben. Scheint nun gar nicht mehr gewünscht von den beiden.

Auch gerade weil ich eher teuer bin, ist mein Anspruch eigentlich etwas dafür abliefern zu wollen. Nicht im Sinne von 10h-Tagen, aber dafür, sich, der Ausbildung, der Berufsbezeichnung gerecht zu werden.

Ein runder Tisch ist nun für bald anberaumt. Ich würde es sogar offensiver als locker angehen, ein kürzlich drucksendes Ereignis hat mich tatsächlich etwas geärgert.

minos5000
2016-11-21, 08:26:30
...bei euch gehe ich mal davon aus, dass es keine 8,50 sind die ihr verdient.
Indeed, Bezahlung ist branchenüblich für Software Entwickler.

hadez16
2016-11-22, 09:01:33
Mir scheinen eure Projekte sind wohl etwas zu klein, sodass sogar scheinbar noch das Wasserfall-Modell zu funktionieren scheint.

Habt ihr keine Herausforderungen ala sich ändernde Anforderungen vs. Budget? Der Anti-Christ aus dem Controlling und so?

Ihr scheint überbesetzt.

minos5000
2016-11-22, 10:21:36
Mir scheinen eure Projekte sind wohl etwas zu klein, sodass sogar scheinbar noch das Wasserfall-Modell zu funktionieren scheint.

Habt ihr keine Herausforderungen ala sich ändernde Anforderungen vs. Budget? Der Anti-Christ aus dem Controlling und so?

Ihr scheint überbesetzt.
Hier im Konzern läuft zu 99% alles strikt nach Wasserfall.

Die Software unserer Abteilung ist knapp 20 Jahre alt und neue Anforderungen gibt es nur 1-2x im Jahr und dann auch nur Kleinigkeiten. Es gäbe zwar genug Raum für Verbesserungen aber das ist aus politischen Gründen nicht erwünscht.
Und der Abteilungsleiter hat kein Interesse daran, Leute zu versetzen, da das
a) weniger Personalverantwortung -> weniger "Prestige" bedeutet
b) es ja nicht sein Geld ist, aus dem wir bezahlt werden, es gibt rigides Controlling welches nur überhaupt nicht funktioniert
c) der AL hat Angst, sollten einmal viele Anforderungen kommen, dass es dann niemanden gibt der sie umsetzen kann, denn die Software ist derart krude geschrieben, dass die Einarbeitung leicht Monate in Anspruch nehmen würde

Wenn man jetzt bedenkt, dass es sich hier um einen international sehr erfolgreichen Weltkonzern handelt... au Backe :freak: (aber woanders läuft es nicht viel besser, kenne Leute bei BMW, Accenture, Daimler die ebenso Däumchen drehen)

hadez16
2016-11-22, 11:43:19
Hier im Konzern läuft zu 99% alles strikt nach Wasserfall.

Die Software unserer Abteilung ist knapp 20 Jahre alt und neue Anforderungen gibt es nur 1-2x im Jahr und dann auch nur Kleinigkeiten. Es gäbe zwar genug Raum für Verbesserungen aber das ist aus politischen Gründen nicht erwünscht.
Und der Abteilungsleiter hat kein Interesse daran, Leute zu versetzen, da das
a) weniger Personalverantwortung -> weniger "Prestige" bedeutet
b) es ja nicht sein Geld ist, aus dem wir bezahlt werden, es gibt rigides Controlling welches nur überhaupt nicht funktioniert
c) der AL hat Angst, sollten einmal viele Anforderungen kommen, dass es dann niemanden gibt der sie umsetzen kann, denn die Software ist derart krude geschrieben, dass die Einarbeitung leicht Monate in Anspruch nehmen würde

Wenn man jetzt bedenkt, dass es sich hier um einen international sehr erfolgreichen Weltkonzern handelt... au Backe :freak: (aber woanders läuft es nicht viel besser, kenne Leute bei BMW, Accenture, Daimler die ebenso Däumchen drehen)

Ich meinte eigentlich den Threadstarter - aber egal :)

Nette Anekdote:

https://abload.de/img/3048_fac4_500t1orr.jpeg

TS-Gast
2016-11-22, 19:14:51
Mir scheinen eure Projekte sind wohl etwas zu klein, sodass sogar scheinbar noch das Wasserfall-Modell zu funktionieren scheint.

Ich habe tatsächlich schon an insgesamt größeren Vorhaben gesessen, aber Projekt wird dann als Beta-MVP, v2, v3, ... zerhackt. Tatsächlich gibt es noch etliche vX im Backlog, für die sich dann aber irgendwann niemand mehr interessiert hat.

Habt ihr keine Herausforderungen ala sich ändernde Anforderungen vs. Budget? Der Anti-Christ aus dem Controlling und so?

Ändernde Anforderungen: Ja. Meine Beteiligung am planerischen Umgang damit: bestenfalls an 2h in der Woche (k)einen Einspruch zu äußern. Budget: Auch eher nicht. Ich könnte behaupten, dass manchmal verschwenderisch gearbeitet wird - meine Anstellung eingeschlossen - aber andererseits bin ich auch nicht die Finanzabteilung um sowas anzumaßen.

Ihr scheint überbesetzt.

Eher falsch besetzt. Die Firma braucht Codegießer, und davon auch noch mehr, theoretisch reicht dafür fast jedes Skript-Kiddie. Entwickler - Menschen mit techn. Weitsicht, Erfahrung, theoretischem Background - davon sind wir nun um 100% überbesetzt. Specs runterschreiben kann ich zufällig auch und sogar ziemlich flott. Nur eben kaum noch Kopfeinsatz, viel Herumgegrase.

Gast
2016-12-25, 04:30:11
Ich hatte mal Phasen, wo 10h/Tag nicht ausgereicht haben um der Arbeit nachzukommen. Man geht am Ende des Tages nach Hause und es schwirren noch zahlreiche Sachen im Kopf rum, die unbedingt erledigt werden müssen. Diese Gedanken verfolgen einen noch, wenn man im Bett liegt und kommen wieder, wenn man morgens aufsteht.
Abschalten ist nicht mal am Wochenende richtig möglich. Der Stress und Druck ist so riesig, dass er einen völlig auffrisst und sowohl körperlich als auch psychisch krank macht. Mir ging es wirklich beschissen, ich war ein Wrack.

Das ging so fast 10 Monate lang...

Dem Burnout nahe bzw. vermutlich hatte ich schon einen, kam dann große Wut auf die Firma. Ich wollte nicht einfach nur die Firma wechseln, sondern ich wollte etwas zurückhaben bzw. mich rächen. Also habe ich die Aufgaben langsam umgewälzt und immer öfter gesagt, dass ich für dies und das keine Zeit habe. Das ging dann so weit, dass ich irgendwann gar keine Aufgaben mehr bekommen habe. Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass das Vertrauen in mich so derart groß war bzw. das alles so unorganisiert war, dass ich und meine Arbeit von KEINER SAU kontrolliert wurde. Die Projektleiter bzw. Verantwortlichen dachten wohl, dass ich jeweils mit anderen Projekten beschäftigt bin.

Mein Tag lief also in etwa so ab, dass etwa 2 Stunden getrödelt, also erst gar nicht am PC verbracht habe. Ich habe aus dem Fenster geschaut, bin durch die Flure spazieren gegangen, hab Kaffee geschlürft oder mal auf dem Klo mit dem Kopf gegen die Wand gelehnt ein Nickerchen gemacht^^. Etwa 4 Stunden habe ich auf youtube verbracht und mich durch alle möglichen Videos geklickt. Den Rest des Tages habe ich Blogs etc. gelesen.

Das ging so etwa 6 Monate. Ich musste feststellen, dass nichts machen auch nicht viel besser als Stress ist. Je weniger man macht, desto fauler wird man und je fauler man wird, desto deprimierter/depressiver wird man.
Also dachte ich mir, ich sollte doch was Sinnvolles machen und habe angefangen Apps für Android zu Programmieren und diese im PlayStore anzubieten. Das ging so etwa weitere 6 Monate.

Ein ganzes Jahr habe ich also nichts gearbeitet und vermutlich wäre das auch so ewig weitergegangen. Ich hatte allerdings realisiert, dass meine Kollegen meine Arbeit kompensiert haben und selbst dadurch umso mehr Stress hatten. Die Firma hatte es auch bis zuletzt nicht geschafft, genügend Entwickler anzuheuern und die Mitarbeiter zu entlasten. Wohlgemerkt nicht wegen dem Geld, sondern einfach, weil sie nicht genug gefunden haben. Es gab immer viel mehr Arbeit als Arbeitskräfte.

Naja, irgendwann habe ich das Unternehmen verlassen…dabei hat es mich nicht einmal erstaunt, dass ich zum Abschluss ein hervorragendes Arbeitszeugnis bekommen habe :D

Backbone
2016-12-26, 10:36:45
Ich kenn das Thema Softwareentwicklung nur aus "Kundensicht". Bei uns befindet sich seit bestimmt 3 Jahren das Firmen-ERP-System in der Einführung. Offiziell wurde da freilich übergeben, aber die Qualität war so mies das es seit eben 3 Jahren immer und immer wieder Nacharbeiten und Nachforderungen gibt.
Witzigerweise werden von einem Release zum nächsten ein paar Fehler behoben, dafür kommen Fehler die schon letztes Jahr weg waren wieder rein.

Sehr lustig auch, dass der "Speichern"-Butto direkt neben dem "zurück"-Button liegt. Das hat schon für viel Spaß gesorgt als ein Auftrag vom Sachbearbeiter eine Stunde lang zurecht gezuppelt wurde und er dann abspeichern wollte, aber blöderweise auf den falschen Knopf kam...

Sehr spannend auch das die Software in einigen Modulen mit 2 Nachkommastellen und in anderen (intern) mit 5 Nachkommastellen rechnet. Und dabei mal mathematisch und mal kaufmännisch rundet. Unsere Buchhaltung freuts.

Und so geht es weiter und weiter und weiter.

Meine, völlig von Softwareentwicklung unbeleckte, Meinung: Die 3 oder 4 Chefentwickler sollten beim Kunden mal 1 Monat Probearbeiten kommen, einfach damit sie grundlegend verstehen was den die Arbeitsabläufe sind, das das bezahlt werden muss ist klar.
DANACH kann man dann über Pflichtenhefte und dergleichen reden.

Morale
2016-12-26, 10:53:04
Hört sich nach öffentlicher Dienst an ;)

Gast
2016-12-27, 01:01:19
...

So eine Randbeobachtung: Software-Entwickler hierzulande sind überwiegend ziemliche Würstchen. Sowohl in ihrer Einstellung gegenüber Vorgesetzten (lassen sich Mittagspausen nehmen, lassen sich Überstunden nicht abzeichnen, kriegen ihren Mund nicht auf und fressen in sich hinein, handeln eher schlechte Konditionen aus), als auch methodisch (verrennen sich, fragen, wenn überhaupt, viel zu spät um Hilfe, haben Angst vor Auditing ihrer Arbeit, denken selten wirtschaftlich).

Fazit war nun übrigens bei mir: Ordentlich vorgehalten, die Reaktionen gingen von Unverständnis hin zu Sorge und ziemlicher Unruhe, und die Druckmittel konnte ich alle ziehen. Ein paar Tage später: Wir suchen nächstes Jahr Entwickler für neue Tools für dies und das, wenn du da Interesse hast ... Ich werde nun noch mal ein paar kleinere Personalwechsel angucken und schauen, ob das ernst gemeint war, ansonsten ist das ausgebrannt.

Meine, völlig von Softwareentwicklung unbeleckte, Meinung: Die 3 oder 4 Chefentwickler sollten beim Kunden mal 1 Monat Probearbeiten kommen, einfach damit sie grundlegend verstehen was den die Arbeitsabläufe sind, das das bezahlt werden muss ist klar.

Das ist etwas, das ich persönlich immer versuche. Wenn ich Nutzer/Admin/Buchhalter/Abnehmer wäre, dann wollte ich doch, dass ... Diese Einstellung ist leider bei der Produkt- und Entwicklungsleitung, egal wo, mehrheitlich ablehnend bis hostile empfunden worden. Wahrscheinlich weil eine gute Nutzer-Experience in aller Regel nicht wirklich im Budget einbegriffen ist, was man allzu oft selbst bei allerlei Software miterlebt, Windows inkl. Dass Dinge dann aber wieder und wieder kaputtgehen, das spricht leider wirklich gegen vernünftige Entwicklung.