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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wer von euch arbeitet in der Gesundheits- und Krankenpflege?


Gast
2020-02-24, 18:13:39
Erfahrungen würden mich interessieren. Wie seid ihr in den Bereich reingekommen? Ist es schwierige Arbeit? Macht euch die Arbeit Spass? Seid ihr zufrieden mit dem Bereich? Oder sucht ihr nach einem Ausweg? Was verdient ihr?

Gast
2020-02-24, 18:35:10
Erfahrungen würden mich interessieren. Wie seid ihr in den Bereich reingekommen? Ist es schwierige Arbeit? Macht euch die Arbeit Spass? Seid ihr zufrieden mit dem Bereich? Oder sucht ihr nach einem Ausweg? Was verdient ihr?

Meistens wird ja der Bereich nur in einschlägigen Reportagen behandelt, aber wäre interessant das Mal hier im Forum zu diskutieren, vor allem da wir einschlægige hier im Forum haben ;)

Lurtz
2020-02-24, 23:35:59
Hab drei Jahre Ausbildung nach Abi und Zivildienst gemacht. Wouldn't recommend. Arbeitsbedingungen sind ein Graus in Deutschland und Fortbildungen bringen minimal mehr Lohne bei deutlich mehr Verantwortung.

Hab mir im 3. Jahr der Ausbildung ein Studium gesucht, das man so einigermaßen im Lebenslauf verargumentieren kann, und das danach durchgezogen :ugly:

Döner-Ente
2020-02-25, 08:24:45
Hab mir im 3. Jahr der Ausbildung ein Studium gesucht, das man so einigermaßen im Lebenslauf verargumentieren kann, und das danach durchgezogen :ugly:


Dito; bei mir hat es sogar nur ein Jahr bis zum Studium gedauert. Am Gehalt lag es noch nicht mal, aber 3 1/2 Wochenenden pro Monat arbeiten, ständig keine Pause weil keine Zeit, im Akkord über die Gänge und durch die Zimmer Gehaste und ständige "kannste einspringen?"-Anrufe haben mich in den Bürosessel getrieben :eek:.

Mortalvision
2020-02-25, 09:24:20
Ich erzähle mal von der Frau meines Schwiegeronkels. Die ist jetzt Anfang 70 und also schon ein paar Jährchen im Ruhestand. Als sie angefangen hatte, also etwa Ende 60er Jahre, war das auch kein Traumberuf. Früher gab es viel mehr Fälle, denen man medizinisch noch nicht helfen konnte. Daher waren die Liegezeiten im Krankenhaus deutlich länger, und damit auch die emotionale "Hilfsbereitschaft" ausgeprägter. Der Kontakt zum Patienten war einfach länger da und auch pflegerisch notwendig (Ironie an der Geschichte: Ihren mittlerweile verstorbenen Mann hatte sie ca. einen Monat nach einem schweren Motorradunfall mit natürlichem und künstlichem Koma gepflegt, und kannte ihn praktisch schon in- und auswendig, bevor der mal das Auge aufgemacht hatte).
Dann kamen die elektronischen Helferlein, und ab da ging es eigentlich nur noch bergab. Abgesehen von den üblichen Kürzungen und Stellenstreichungen musste nun alles dokumentiert werden und jeder Handgriff aufgeschrieben werden. DAS hat ihr den Beruf eigentlich ziemlich vermiest. Sie hatte von da an nur noch ca. zehn Jahre bis zur Rente, aber sie betont immer wieder, dass die vermeintlich "genaue Dokumentation" zum Schichtende dann oft nur ein Zusammenschreiben aus dem Gedächtnis gewesen sei, weil während der Schicht dafür einfach keine Zeit gewesen sei, und man von Patient zu Patient hüpfen müsste.

Am Wochenende hat sie deshalb am liebsten gearbeitet: etwas weniger Patienten und kaum nervige Ärzte. Da sie ohnehin eine raue Natur ist, hat der Beruf ihr nicht so viel anhaben können. Sie erzählt aber klaro auch von sensibleren Kolleginnen, die sich oft jahrelang in Mutter- und Schwangerschaftsurlaub verkrochen haben (ok, haben wir an der Mittelschule auch :freak:).

drdope
2020-02-25, 10:19:48
Hab den Job ca. 23 Jahre (inkl. Zivi & Ausbildung/Fachweiterbildung "Onkologie & Palliativ") bis Mitte 2018 gemacht, von 2000-2018 ausschließlich im Nachtdienst (ca. 2x 7ND-Blöcke je 10,25h/Monat).

Die letzten Jahre waren nur noch reine Schadensbegrenzung.
Zu wenig Personal, hoher Krankenstand, immer ca. >=150-200h+ auf dem Konto bei gleichzeitig nahezu immer maximal ausgelasteter Station.
Dabei stieg die "dokumentierte Qualität" der Versorgung immer weiter an, während die "reale Qualität" immer weiter runter ging, sprich es wurde immer mehr dokumentiert aber immer weniger gemacht.

Diverse Kollegen (Pflegekräfte & Ärzte) hab ich dabei beobachten können, wie sie sich mit Burnout aus dem Job verabschiedet haben.
Noch viel mehr haben einfach so resigniert und sind gegangen.

Mein persönliches Fass ist übergelaufen, als unsere Klinik dann noch (über die Hintertür) Anfing Gehälter zu kürzen...

Bis Mitte 2017 wurde unsere 1h Pause im ND noch pauschal bezahlt, weil nicht sicher gestellt werden konnte, daß diese am Stück genommen wurde.
Das sollte wegfallen und stattdessen sollten wir die Kollegen gegenseitig vertreten, sprich wenn ich Pause mache, mußte die Kollegin von der Nachbarstation solange zwei Stationen abdecken (ca. 60 Patienten Versorgen).

Effektiv hieß das -> für seine Aufgaben hatte man statt 10h/ND nur noch 8h/ND Zeit.
Bei ca. 144NDs/Jahr sind das auch 144h die man durch die Pause nicht bezahlt bekommt/weniger Arbeitet. 144h/10,25 -> 14ND (= ca. 1 Monat) mehr pro Jahr arbeiten bei gleichen Gehalt.

Gleichzeitig kam noch jemand auf die glorreiche Idee, wir sollten für die Nutzung des Parkplatzes am KH jetzt ca. 70€/Monat zahlen...

Danke, aber danke nein!

Inzwischen mache ich IT-Kram und pflege zu Hause meinen leicht dementen Opa.

Imho wird das noch vorhandene Pflegepersonal in den aktuell Kliniken regelrecht verbrannt.
Wir haben imho in Deutschland keinen Mangel Pflegekräften, lediglich einen Mangel an Pflegekräften die zu diesen Arbeitsbedingungen arbeiten wollen.

So verwundert es nicht, dass die Verweil*dauer im Beruf in der Altenpflege mit 8,4 Jahren und in der Krankenpflege mit 7,5 Jahren äußerst niedrig liegt.
--> https://www.dbfk.de/manifest/der-hintergrund/

Und ich gehöre schon zu denen, die relativ lange durchgehalten haben.

Döner-Ente
2020-02-25, 10:33:58
Wir haben imho in Deutschland keinen Mangel Pflegekräften, lediglich einen Mangel an Pflegekräften die zu diesen Arbeitsbedingungen arbeiten wollen.



Japp. Diese Entwicklung ist weder neu noch ein Mysterium und jetzt, wo nach 15-20 Jahren die Politik mal halbwegs aufgewacht ist (zu einem Zeitpunkt, wo das Kind schon in den Brunnen gefallen ist), meint man, die Lage mit einem "Tarifvertrag Pflege" heilen zu können.
Ja, Pflege müsste, im Vergleich zu anderen Berufen gesehen besser bezahlt werden, aber wenn man sich mit frustrierten Pflegekräften unterhält, ist mit weitem Abstand Frustfaktor Nummer Eins nicht 200 Euro mehr oder weniger, sondern die miserablen Arbeitsbedingungen. Jetzt ist das Kinder aber wie gesagt bereits in den Brunnen gefallen: Eben um diese miesen Arbeitsbedingungen heilen zu können, würde man mehr Personal benötigen, was man aber eben deswegen nicht mehr hat.

drdope
2020-02-25, 11:00:03
Das sind keine 15-20 Jahre...
Der Begriff Pflegenotstand als Ausdruck für systemweites, politisches Versagen existiert schon seit den 70er Jahren.

Über die Bezahlung konnte ich mich bis zuletzt eigentlich nicht sonderlich beschweren (Tarif AVR; kirchlicher Träger).
Ich hatte mit meinen 14NDs/Monat ca. 2200-2300€ netto bei SK1.

Im regulären Tagdienst (3-Schichtmodell) schaut das schon weniger gut aus --> ca. 1800-1900€ bei ca. 24 Schichten/Monat.

Vergütung würde auch nicht als Hauptproblem verorten.

Es sind die Arbeitsbedingungen, die deutlich besser werden müssen.

Ich behaupte mal ganz steil (aus meiner Erfahrung heraus) -> die wenigsten haben den Job wegen des tollen Gehalts/der tollen Entwicklungsmöglichkeiten gewählt, sondern weil sie irgendwas sinnvolles/sinnstiftendes machen wollten, statt tagtäglich im einem Büro Papier von A->B zu schubsen.

Jetzt machen wir nicht nur genau das, sondern haben auch noch viel zu wenig Zeit unseren eigentlichen Job (Versorgung kranker/sterbender Menschen und deren Angehörige) adequat (nach besten Wissen und Gewissen) auszuführen.

Du weisst es besser, du kannst es besser, aber kannst das in der Praxis nicht umsetzten, weil dir die Zeit fehlt.
Auf Dauer ist das halt sehr unbefriedigend, wenn man ständig nur noch im Schadenbegrenzungsmodus läuft.
Man hat keine Zeit mehr zu agieren, man reagiert nur noch.

Gast
2020-02-25, 13:40:35
Hab drei Jahre Ausbildung nach Abi und Zivildienst gemacht. Wouldn't recommend. Arbeitsbedingungen sind ein Graus in Deutschland und Fortbildungen bringen minimal mehr Lohne bei deutlich mehr Verantwortung.

Hab mir im 3. Jahr der Ausbildung ein Studium gesucht, das man so einigermaßen im Lebenslauf verargumentieren kann, und das danach durchgezogen :ugly:
Auf was hast Du gewechselt?

Gast
2020-02-25, 13:52:51
Inzwischen mache ich IT-Kram und pflege zu Hause meinen leicht dementen Opa..
Hast eine Ausbildung in dem Bereich oder machst Du das als Quereinsteiger?

Gast
2020-02-25, 13:54:04
Dito; bei mir hat es sogar nur ein Jahr bis zum Studium gedauert. Am Gehalt lag es noch nicht mal, aber 3 1/2 Wochenenden pro Monat arbeiten, ständig keine Pause weil keine Zeit, im Akkord über die Gänge und durch die Zimmer Gehaste und ständige "kannste einspringen?"-Anrufe haben mich in den Bürosessel getrieben :eek:.
Was machst Du jetzt?

Lurtz
2020-02-25, 13:55:15
Dito; bei mir hat es sogar nur ein Jahr bis zum Studium gedauert. Am Gehalt lag es noch nicht mal, aber 3 1/2 Wochenenden pro Monat arbeiten, ständig keine Pause weil keine Zeit, im Akkord über die Gänge und durch die Zimmer Gehaste und ständige "kannste einspringen?"-Anrufe haben mich in den Bürosessel getrieben :eek:.
Bei uns war zur Mitte der Ausbildung auch schon über die Hälfte weg.

Gast
2020-02-25, 14:05:52
Bei uns war zur Mitte der Ausbildung auch schon über die Hälfte weg.
Helfersyndrom?

Thoro
2020-02-25, 17:08:05
Ich arbeite jetzt nicht direkt in der Pflege, aber bin seit mittlerweile 15 Jahren als Rettungssanitäter tätig, mit 3-4 Nachtdiensten pro Monat (in Österreich). Das was ich beobachte deckt sich mit dem, was die meisten hier schreiben: Im Pflegebereich, vor allem in Heimen, scheinen es Leute selten länger als ein paar Jahre, eher Monate, auszuhalten. Die Anforderungen betreffend Diensten und Verantwortung sind aber auch absurd. Im Prinzip ist man ab dem Level des DGKP/S (das was landläufig als "Krankenschwester" bekannt ist und die Stufe über dem Pflegehelfer ist) nicht mehr primär mit Menschen, sondern mit Dokumentation und Administration beschäftigt. Die Tätigkeit an den Patienten machen primär die Pflegehelfer_innen. Beide Tätigkeitsbereiche sind massiv überfordert. Da ist es absolut üblich dass im Nachtdienst einzelne DGKP/S für ein gesamtes Heim mit 100 Betten zuständig und verantwortlich sind. Verantwortung wird - aus diversen Gründen - keine übernommen seitens Heimen. Es wird gelinde gesagt jeder Blödsinn ins Krankenhaus geschickt, zur Sicherheit halt. Dabei spielt es keine Rolle ob ein Patient nach einem Sturz vollkommen symptom- und auch verletzungsfrei ist. Sicher ist sicher - und das wirkt sich natürlich auch auf die KHs aus, wo in Notaufnahmen im Nachtdienst der überwiegende Teil der Fälle ambulante Kontrollen sind.

Die Arbeitsbedingungen hängen allerdings schon sehr stark vom Heim an sich ab. Üblicherweise merkt man es recht schnell wenn man rein kommt. Wenn es in den Patientenzimmern stark nach Ammoniak (also Urin) riecht, das Personal schwer bis nicht auffindbar ist und man keine vernünftigen Patientenübergaben bekommt (oftmals weiß das übergebende Personal die absoluten Basics wie z.B. ob ein Patient blutverdünnt ist oder wann denn eigentlich genau was passiert ist nicht), dann kann man meistens einen direkten Rückschluss auf die gesamte Qualität des Heimes ziehen und liegt selten falsch. Dazu kommen in diesen Heimen oftmals gravierende Probleme in der Kommunikation auf Deutsch auf Seiten des Personals.

Umgekehrt gibt es schon auch Heime, wo man wirklich bemüht ist und sich um die Leute auf menschlichem Level kümmert - allerdings geht das meistens nur dort, wo nicht die ganz schwierigen Pflegefälle liegen und die Leute noch ein relativ hohes Level an Selbstständigkeit haben.

In Krankenhäusern ist der administrative Aufwand nach meiner Beobachtung ebenso enorm, es gibt aber auch hier große Unterschiede von Station zu Station. Wie bei Heimen merkt man es relativ schnell, ob da gute Führungspersönlichkeiten am Werk sind, die auch auf die Jobgesundheit der Angestellten schauen. Das macht einen riesigen Unterschied aus. Oft sind kleiner Spezialstationen hier sehr gute Beispiele, bei uns im LKH z.B. die Neonatologie und mit Abstrichen auch allgemein die Pädiatrie. Diese Stationen sind halt auch nicht so überlaufen wie vor allem Interne und Chirurgische Notaufnahmen, wo man in der Regel dem Personal die Überforderung bei jedem Handgriff anmerkt. Dazu sei angemerkt: In Österreich hat gerade in den letzten ca. 10-20 Jahren das Spital, insbesondere die Notaufnahmen, den niedergelassenen Bereich bei so gut wie allen akuten Dingen fast schon ersetzt. Sprich: viele Leute fahren ins Krankenhaus, weil sie der Meinung sind, dass ihnen da schneller und besser geholfen wird. Der allerkleinste Teil davon gehört ins Krankenhaus, aber die Krankenhäuser müssen die Leute nehmen, wenn die angeschaut werden möchten.

Insgesamt: Am Geld liegt es nicht, es sind die Arbeitsbedingungen. Das kann ich auch von den hauptberuflichen Sani-Kollegen bestätigen. Da haben wir gleich viele Autos und Leute wie vor 10 Jahren, aber doppelt so viele Fahrten im Jahr. Das macht dann irgendwann keinen Spaß mehr.

drdope
2020-02-25, 17:16:34
Hast eine Ausbildung in dem Bereich oder machst Du das als Quereinsteiger?

Mache schon seit ca. 20 Jahren selbstständig IT "nebenbei", daß hab ich jetzt halt ausgebaut... keine formale Ausbildung, lediglich 37 Jahre IT-Erfahrung und Neugier/Interesse am Thema.

Gast
2020-02-25, 17:38:37
Insgesamt: Am Geld liegt es nicht, es sind die Arbeitsbedingungen. Das kann ich auch von den hauptberuflichen Sani-Kollegen bestätigen. Da haben wir gleich viele Autos und Leute wie vor 10 Jahren, aber doppelt so viele Fahrten im Jahr. Das macht dann irgendwann keinen Spaß mehr.
Was müsste deiner Meinung nach geschehen, damit sich die Situation bessert?

Filp
2020-02-25, 18:30:34
Mache schon seit ca. 20 Jahren selbstständig IT "nebenbei", daß hab ich jetzt halt ausgebaut... keine formale Ausbildung, lediglich 37 Jahre IT-Erfahrung und Neugier/Interesse am Thema.
Wo warst du im AVR eingruppiert? P8? Finde das im Pflegebereich schon sehr schwammig, das ist bei uns Erziehern (für mich als solcher) viel eindeutiger. Ich finde es halt schon schräg, dass die Pflege nicht der Erziehung gleichgestellt ist, unser S8a (da sind alle Erzieher der stationären Jugendhilfe drin) liegt doch in höheren Stufen deutlich über dem entsprechenden Tarif der Pflege.
Die Arbeit ist bei uns aufgrund immer fehlender Mitarbeiter und eh schon auf Kante berechneten Betreuungsschlüssel auch nicht wirklich angenehm. Auch wenn ich mit dem Gehalt im AVR (in den privaten Einrichtungen ohne Tarifvertrag sieht es meist viel schlechter aus) sehr zufrieden bin, ist es garantiert nicht das Geld, dass mich in diesen Job gebracht hat und da auch hält.

drdope
2020-02-25, 19:45:10
Iirc gibt es für die Erziehung/Pflege jeweils eigene AVR-Anlagen...
Bei mir war es konkret zuletzt P7/ST6
--> https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/caritas/anlage-31?id=caritas-31-p-2020&g=P_7&s=6&f=&z=&zv=&r=&awz=&zulage=&kk=&kkz=&zkf=&stkl=

Für dich sollte Anlage 33 gelten...
--> https://oeffentlicher-dienst.info/caritas/anlage-33/

Bei privaten Trägern ohne TV wird in der Pflege auch häufig deutlich schlechter gezahlt.
Nicht überall, aber doch häufig.

Thoro
2020-02-25, 21:12:10
Was müsste deiner Meinung nach geschehen, damit sich die Situation bessert?

Erstens: Mehr Zeit für das Personal mit den Menschen welche sie eigentlich betreuen sollten auch wirklich Zeit zu verbringen. Ich wage mal zu behaupten, dass niemand primär Krankenpfleger wird, um dann 90 % seiner Zeit mit einem Bürojob zu verbringen. Dieses Verhältnis von Dokumentation und tatsächlicher Arbeit stimmt einfach überhaupt nicht und daraus entstehen denke ich viele Probleme. Man wird unzufrieden, weil der Job nicht dem entspricht, was man sich vorgestellt hat. Man wird depressiv, weil man das Gefühl hat, dass man die Menschen die man eigentlich betreuen sollte im Stich lässt. Man brennt aus, weil man merkt, dass man beim kleinsten Fehltritt von System und/oder Verwandten direkt belangt wird.

Zweitens: Verantwortung muss auch, gerade in Heimen, wahrgenommen werden dürfen. Krankenpfleger_innen gehen bei uns durch eine sehr detaillierte anatomische und pflegerische Ausbildung (die ab heuer auch tertiär ist, über die Sinnhaftigkeit sei hier nicht diskutiert) nur um dann tatsächlich nichtmal entscheiden zu dürfen, dass ein symptomloser und verletzungsfreier Patient nicht um 3 Uhr in der Früh ins Krankenhaus muss. Das ist - glaube ich - für das Personal hoch frustrierend, weil man ihnen suggeriert, dass sie gut ausgebildet wären und in Wahrheit dürfen sie ein Pflaster picken, einen Verband wechseln, die Zimmer putzen und beim Klo gehen helfen - und das war es dann auch schon. Warum man Menschen welche täglich und ständig mit den gleichen Patienten arbeiten nicht mehr Vertrauen entgegen bringt, ist mir absolut schleierhaft - zumal in diesen Fällen ja im Krankenhaus absolut nix gemacht wird. Ein pro Forma Röntgen, und dann geht's wieder zurück nach Hause.

Drittens: Die gesamte Einstellung gegenüber Pflege und Betreuung muss sich ändern. Aktuell gibt man Leute in Heime, weil man selber zu Hause mit ihnen überfordert ist oder das Gefühl hat sie nicht adäquat betreuen zu können. In Heimen akzeptieren wir dann aber minderwertige Qualität in der Betreuung zu hohen Preisen ohne mit der Wimper zu zucken, einfach weil wir dadurch zu Hause eine Sorge weniger haben. Das ist in meinen Augen eine extrem schädliche Einstellung, die jegliche Idee des Zusammenlebens von Generationen ad absurdum führt.

Viertens: Der Pflegebereich wird oft als Endstation verstanden. Gerade in Heime kommen viele Menschen, bei denen es keine Erwartung mehr gibt, dass diese vor ihrem Tod wo anders hinkommen können. Dem entgegen stehen auch bei älteren und kranken Menschen oft noch großes Potential für mehr Selbstständigkeit, das aber durch das System Pflegeheim komplett ausradiert wird. Anders gesagt: Pflegeheime erziehen Menschen zu Unselbständigkeit und dadurch müssen die Menschen in Pflegeheimen bleiben. Das ist Scheiße, denn ganz ehrlich, wer will den wenn er oder sie alt ist so eingeschränkt leben, obwohl es nicht notwendig wäre?

Sind ein paar recht unreflektierte Ansätze von mir. Alles zusammen ergibt einfach das Bild eines extrem bürokratischen Systems in dem man eigentlich viel mehr erreichen könnte - für alle Beteiligten - wenn man das Erbsenzählen zurückschrauben würde und sich bisschen mehr auf Potentiale konzentriert als auf Defizite.

Monger
2020-02-25, 21:37:32
Was müsste deiner Meinung nach geschehen, damit sich die Situation bessert?
Ich arbeite selber nicht in dem Bereich, aber ich bin mit mehreren Ärzten befreundet, die auch über die Arbeitsbedingungen klagen.
Meine Außenperspektive: was die Branche braucht, ist ne gescheite Gewerkschaft. Und ein offenerer Ausbildungsweg.

Im Gesundheitswesen steckt auch heute unheimlich viel Geld, aber es versickert in unfassbar ineffizienten Arbeitsabläufen. Verbesserungen werden durch eine Art Kastenwesen behindert: Pfleger und Ärzte arbeiten beide direkt am Patienten, aber unter extrem unterschiedlichen Konditionen. Ärzte sind oft in strikten Hackordnungen gefangen. Ergo, niemand hat den Gesamtablauf im Blick.

Scheiß Branche. An sich wäre für mich als ITler da riesiges Potential mit banalen Methoden zu heben, aber die Strukturen sind so verknöchert, den Schuh zieh ich mir nicht an.

drdope
2020-02-25, 22:03:55
@Thoro
zu 1) in .de hängen die Erlöse lediglich von der dokumentierten Qualität ab...; Pflegeaufwand wird im Krankenhaus nicht separat abgerechnet -> ist im ICD/OPS->DRG inkludiert...

Alles was pflegerisch als Zusatzerlös abgebildet werden kann (PKMS/Palliative Care/spezielle Wundversorgung) bedingt zig, über den Aufenthalt, sauber ausgefüllte "Zettel/Dokumentation"...
Doof das irgendwer immer irgendwas (Teilzeitkräfte/Wochenendschwestern) vergisst und der Fall damit immer finanziell anfechtbar wird.

zu 2)
Mit Verantwortung wahrnehmen verdient niemand Geld...
Der gestürzte, 85-jährige Patient mit V.a. OSH-Fraktur (mit 3-Monaten Rest-Lebenserwartung) bei metastasierenden Leber-CA, gehört definitiv von einem Notarzt untersucht und ins Krankenhaus gekarrt, um dort nach EKG/Labor/Rö-Thorax im Fahrstuhl unter Reanimation und acht gebrochenen Rippen zu versterben...
#Einzelfall

Ihn einfach nur zurück ins Bett packen, einen Zugang legen, ein bis zwei Morphin5-10mg anzuhängen und seine Angehörigen anrufen wäre unwirtschaftlich gewesen...
Auch die Angehörigen mal in den den Arm nehmen, mit ihnen zu trauern und mit ihnen zu reden generiert keine Erlöse...

Man hätte weder RTW noch NAW berechnen können, noch die Maßnahmen im Krankenhaus.
Viele Pflegekräfte wurden wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt...

Die Pflegekraft hätte sich in eine rechtliche Grauzone begeben und sich Zeit für den Patienten und dessen Angehörigen nehmen müssen können.
-> Zeit hat man nicht; verreckt man halt sinnloser Weise im Krankenhaus-Fahrstuhl...
Aber immerhin war der Tod nicht umsonst... Transportdienst/KH können das abrechnen...

zu 3) wer zahlt ist gut...

zu 4) böses Thema
Wenn du alt und pflegebedürftig bist, bekommst du um so mehr vergütet, je kaputter du bist...
Keine Einrichtung kann daran Interesse haben, möglichst viele Patienten mit PG1/2 zu betreuen -> die können sprechen, wünsche formulieren, Ansprüche stellen... du willst willst als Altenheim PG4/5-Patienten, die viel Umsatz generieren und im Kopf so platt sind, daß sie die Zustände nicht mehr selbst kritisieren können...
Solang die dokumentierte Qualität stimmt ist ja alles super!

@Thoro
Abseits aller meiner Polemik,
danke, daß du den Job noch machst!

Wer ein bissl Phantasie hat kann sich ja mal eine Welt mit ausreichend Polizei, Feuerwehr, Rettungs-Sanitätern, Erziehern, Lehren, Pflegekräften, Ärzten vorstellen...
Alles was man sonst noch braucht sind gute Wissenschaftler und Ingenieure.

Ein politisches Amt, sollte nur jemand (als aufoktroyierte Pflicht) bekommen, der sich für viele andere Eingesetzt hat.
Uns fehlen imho demokratisch gewählte Politiker, die sich sich für den sozialen Zusammenhalt der Bevölkerung einsetzen.
Man stelle sich mal ein Parlament aus gewählten Politikern vor, die Entscheidungen zu Gunsten aller treffen...

Ich hab mal vor meiner Kündigung das an meine Kollegen/Vorgesetzten geschrieben:
Wir wollen weniger!

Wir wollen weniger Patienten pro Pflegekraft!
Wir wollen „nur“ ausreichend Zeit für die uns anvertrauten Patienten.

Wir wollen weniger Pausen auf dem Papier, die wir eh nicht haben.
Wenn sich ein Patient meldet, weil er in seinen Fäkalien liegt, besteht niemand von uns auf „seine“ Pause, obwohl sein Essen gerade kalt wird.
Wenn gerade ein Patient alleine stirbt, weil er keine Angehörigen hat, würde keiner von uns auf seine Pause bestehen, um sein Butterbrot essen.
Wir würden gerne lediglich genug Zeit dazu haben, dabei zu sitzen und seine Hand zu halten…
Wir wollen wenig!

Wir wollen weniger Bürokratie!
Wir wollen weniger zeitraubenden, sinnfreien „Papierkram“, den abseits einer MDK-Prüfung niemanden interessiert!

Wir sind keine papierschubsenden Beamten!
Ein „Sorry, wir haben Feierabend“, kommen sie morgen wieder, gibt es bei uns nicht“.
Wir reanimieren auch nach Dienstschluss und in unserer Pause!

Wir wollen weniger Aufgaben abseits unserer Kernkompetenz, der Pflege von Menschen!
Tabletten stellen können Maschinen besser, dann muß es auch keine zweite Pflegefachkraft kontrollieren!
Infusion stellen können Maschinen besser, dann muß es auch keine zweite Pflegefachkraft kontrollieren!
Abheften können Büroangestellte besser, dann muß sich auch niemand im Controlling mehr ärgern und Fälle können schneller abgerechnet werden!
Materiallogistik können dedizierte Logistikfachkräfte besser und keine Pflegekraft muß am Wochenende durchs Haus rennen, um sich fehlendes Material zu besorgen!

Das sind alles keine Tätigkeiten, die man in „Nebenbei“ in hinreichender Qualität erledigen kann, ohne seine eigentliche Aufgabe; der Betreuung von kranken, pflegeabhängigen oder gar sterbenden Menschen zeitlich zu kompromittieren.
Wir wollen sehr wenig, abseits davon als „Pflegefachkräfte“ unseren Beruf/unsere Berufung ordentlich ausüben zu können, ohne zig andere Dinge erledigen zu müssen, die nicht zu unseren Kernkompetenzen zu gehören.

PS
Ein ausreichend dimensioniertes Dienstzimmer, daß größer als mein privates Badezimmer ist, wäre auch ganz nett…
Aber wir verzichten gern auch darauf, wenn der Rest stimmen würde!

Gast
2020-02-25, 22:16:47
@Thoro
zu 1) in .de hängen die Erlöse lediglich von der dokumentierten Qualität ab...; Pflegeaufwand wird im Krankenhaus nicht separat abgerechnet -> ist im ICD/OPS->DRG inkludiert...

Alles was pflegerisch als Zusatzerlös abgebildet werden kann (PKMS/Palliative Care/spezielle Wundversorgung) bedingt zig, über den Aufenthalt, sauber ausgefüllte "Zettel/Dokumentation"...
Doof das irgendwer immer irgendwas vergisst und der Fall damit immer finanziell anfechtbar wird.

zu 2)
Mit Verantwortung wahrnehmen verdient niemand Geld...
Der gestürzte, 85-jährige Patient mit V.a. OSH-Fraktur (mit 3-Monaten Rest-Lebenserwartung) bei metastasierenden Leber-CA, gehört definitiv von einem Notarzt untersucht und ins Krankenhaus gekarrt, um dort nach EKG/Labor/Rö-Thorax im Fahrstuhl unter Reanimation zu versterben...

In einfach nur zurück ins Bett packen, einen Zugang legen, ein bis zwei Morphin5-10mg anzuhängen und seine Angehörigen anrufen wäre unwirtschaftlich gewesen...
Man hätte man weder RTW noch NAW berechnen können, noch die Maßnahmen im Krankenhaus.

Die Pflegekraft hätte sich in eine rechtliche Grauzone begeben und sich Zeit für den Patienten und dessen Angehörigen nehmen müssen können.
-> Zeit hat man nicht; verreckt man halt sinnloser Weise im Krankenhaus-Fahrstuhl...
Aber immerhin war der Tod nicht umsonst... Transportdienst/KH können das abrechnen...

zu 3) wer zahlt ist gut...

zu 4) böses Thema
Wenn du alt und pflegebedürftig bist, bekommst du um so mehr vergütet, je kaputter du bist...
Keine Einrichtung kann daran Interesse haben, möglichst viele Patienten mit PG1/2 zu betreuen -> die können sprechen, wünsche formulieren, Ansprüche stellen... du willst willst als Altenheim PG4/5-Patienten, die viel Umsatz generieren und im Kopf so platt sind, daß sie die Zustände nicht mehr selbst kritisieren können...

Liest sich dystopisch...

Lurtz
2020-02-26, 00:01:34
Meine Außenperspektive: was die Branche braucht, ist ne gescheite Gewerkschaft.
In Niedersachsen hat man es jüngst mit einer Pflegekammer und Zwangsbeiträgen versucht und ist grandios baden gegangen.

@Thoro
zu 1) in .de hängen die Erlöse lediglich von der dokumentierten Qualität ab...; Pflegeaufwand wird im Krankenhaus nicht separat abgerechnet -> ist im ICD/OPS->DRG inkludiert...

Alles was pflegerisch als Zusatzerlös abgebildet werden kann (PKMS/Palliative Care/spezielle Wundversorgung) bedingt zig, über den Aufenthalt, sauber ausgefüllte "Zettel/Dokumentation"...
Doof das irgendwer immer irgendwas (Teilzeitkräfte/Wochenendschwestern) vergisst und der Fall damit immer finanziell anfechtbar wird.

Das ist nur die Spitze des Eisbergs, aber ja, es geht tatsächlich bis zur Qualität der Doku auf Station runter. Die bringt aber auch nichts, wenn das Krankenhaus keine vernünftigen Kodierkräfte hat. Und die Kodierung wird immer komplexer und ändert sich ständig. Ohne externe Hilfe haben die meisten Krankenhäuser auch aufgrund des "Fachkräftemangels" gar keine Change, die ihnen zustehende Vergütung bezahlt zu bekommen.
Zumal der Medizinische Dienst nur Prüfungen zulasten der Krankenhäuser anzeigt, keine zugunster der Häuser.

Wobei man mit dem Pflexit ja jetzt die Pflegekräfte komplett aus dem DRG-System genommen hat und wieder Pauschalen bezahlt. Nette Idee, wird nur dafür sorgen, dass Häuser die versucht haben mit Stationssekretariat etc. ihre Pflegekräfte zu entlasten, jetzt womöglich Probleme bekommen werden, Geld dafür einzustreichen.

Fehlanreize ohne Ende in dem kaputten System.

drdope
2020-02-26, 00:31:40
@Lurtz
Ich kenne auch Krankenhäuser die "kurzfristig" ihre Kodierassistenten (alles zu >80% ehemalige Pflegekräfte) im Organigram wieder (im Dienstplan) auf einzelne Stationen verteilt haben...
#Helios

Dann ist die Schicht inkl. Kodierassistent und der PDL im Kasack, ausreichend gut besetzt.
Selbst wenn man auf dem Papier Personaluntergrenzen (=Regelbesetzung) einhalten muß, wird das im Alltag umgangen...

Thoro
2020-02-26, 09:02:51
Ich arbeite selber nicht in dem Bereich, aber ich bin mit mehreren Ärzten befreundet, die auch über die Arbeitsbedingungen klagen.
Meine Außenperspektive: was die Branche braucht, ist ne gescheite Gewerkschaft. Und ein offenerer Ausbildungsweg.

Im Gesundheitswesen steckt auch heute unheimlich viel Geld, aber es versickert in unfassbar ineffizienten Arbeitsabläufen. Verbesserungen werden durch eine Art Kastenwesen behindert: Pfleger und Ärzte arbeiten beide direkt am Patienten, aber unter extrem unterschiedlichen Konditionen. Ärzte sind oft in strikten Hackordnungen gefangen. Ergo, niemand hat den Gesamtablauf im Blick.

Scheiß Branche. An sich wäre für mich als ITler da riesiges Potential mit banalen Methoden zu heben, aber die Strukturen sind so verknöchert, den Schuh zieh ich mir nicht an.

Da würde ich zustimmen, gerade im Bereich wo es dann Ärzte gibt (also meist nicht in Heimen, da gibt es bei uns "nur" Pfleger_innen und Pflegehelfer_innen). Das Standesdenken ist da noch teils extrem tief verankert, gerade im Krankenhausbereich. Wenn der "Herr Doktor" etwas anschafft, dann ist das Gesetz. Natürlich nur, solange der da ist. Aber grundsätzlich hat man da noch große Ehrfurcht vor Titeln und Posten - das ist in Österreich aber auch schon ganz grundsätzlich extrem tief verwurzelt. Wobei ich gerade im Kontakt mit jüngeren Ärzten schon merke, dass sich das in meiner Generation (Mitte Dreißig) schon ändert. Die sind viel zugänglicher und weniger auf ihre Titel bedacht - umgekehrt werden sie aber im System darauf hingetrimmt, diese Titel schon möglichst wichtig zu nehmen. Ich traue mich nicht zu sagen, was da letztlich in der Masse gewinnt. Aber wenn man schaut, wie in den letzten Jahrzehnten die Ehrfurcht vor diversen Berufen (Lehrern, Pfarrern, Bürgermeistern) bei uns abgenommen hat, glaube ich dass auch Ärzte nicht immun sein werden.

Liest sich dystopisch...

Ich habe halt auf Grund der Diskussion hier die problematischen Seiten herausgestellt. Es wäre nicht so, dass es nichts positives zu sagen gäbe. Beispielsweise würde ich sagen, dass die extreme Dokumentationspflicht durchaus auch positive Seiten hat. Vor 10 Jahren gab es in unserem Einsatzgebiet noch einige Heime, in denen - hab ich tatsächlich erlebt - Menschen in ihren Zimmern gestorben sind ohne dass es wer mitbekommen hat für einige Stunden. So etwas ist mir in den letzten Jahren nicht mehr bekannt.

@Thoro
zu 1) in .de hängen die Erlöse lediglich von der dokumentierten Qualität ab...; Pflegeaufwand wird im Krankenhaus nicht separat abgerechnet -> ist im ICD/OPS->DRG inkludiert...

Alles was pflegerisch als Zusatzerlös abgebildet werden kann (PKMS/Palliative Care/spezielle Wundversorgung) bedingt zig, über den Aufenthalt, sauber ausgefüllte "Zettel/Dokumentation"...
Doof das irgendwer immer irgendwas (Teilzeitkräfte/Wochenendschwestern) vergisst und der Fall damit immer finanziell anfechtbar wird.

Das dürfte bei uns ähnlich sein. Ohne die entsprechenden Stempel am richtigen Formular zahlt die Kasse nichts. Und darauf kommt es dann letztlich an, dass irgendwer zahlt. Und das halte ich persönlich gewissermaßen für ein Grundübel in der Sparte. Die extreme Quantifizierbarkeit (oder Monetarisierbarkeit) funktioniert einfach nicht, wenn in Wahrheit jeder Mensch wenigstens ein bissl individuelle Betreuung bräuchte.


zu 2)
Mit Verantwortung wahrnehmen verdient niemand Geld...
Der gestürzte, 85-jährige Patient mit V.a. OSH-Fraktur (mit 3-Monaten Rest-Lebenserwartung) bei metastasierenden Leber-CA, gehört definitiv von einem Notarzt untersucht und ins Krankenhaus gekarrt, um dort nach EKG/Labor/Rö-Thorax im Fahrstuhl unter Reanimation und acht gebrochenen Rippen zu versterben...
#Einzelfall

Ihn einfach nur zurück ins Bett packen, einen Zugang legen, ein bis zwei Morphin5-10mg anzuhängen und seine Angehörigen anrufen wäre unwirtschaftlich gewesen...
Auch die Angehörigen mal in den den Arm nehmen, mit ihnen zu trauern und mit ihnen zu reden generiert keine Erlöse...

Man hätte weder RTW noch NAW berechnen können, noch die Maßnahmen im Krankenhaus.
Viele Pflegekräfte wurden wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt...

Die Pflegekraft hätte sich in eine rechtliche Grauzone begeben und sich Zeit für den Patienten und dessen Angehörigen nehmen müssen können.
-> Zeit hat man nicht; verreckt man halt sinnloser Weise im Krankenhaus-Fahrstuhl...
Aber immerhin war der Tod nicht umsonst... Transportdienst/KH können das abrechnen...

Wie du schreibst, Einzelfall. Ich gehe, nur um das auch in aller Klarheit zu sagen, zu hundert Prozent konform mit dem was du schreibst. Natürlich gehört so ein Patient notfallmedizinisch behandelt. Und natürlich gehört z.B. auch jeder Patient der auf den Kopf gestürzt ist und blutverdünnt ist sofort in ein KH - auch wenn er keine Verletzungen/Symptome hat. Weil da einfach Risiken damit einhergehen, die eine Pflegekraft ohne diagnostische Methoden niemals korrekt einschätzen kann.

Die Klagen sind mir (aus Erzählungen) gut bekannt. Ich kann deshalb die Pflegekräfte und Heime auch absolut verstehen und werfe ihnen das nicht vor, das ist ein Spiegelbild der negativen Trends unserer Gesellschaft im Sinne von "Aus den Augen, aus dem Sinn - aber wenn was passiert, dann ab zum Gericht!"

Ich kann ganz persönlich sagen, dass die Dinge die mir aus 15 Jahren Rettungsdienst am meisten im Kopf geblieben sind - und das inkludiert schlimme Notfälle - Gespräche mit Menschen sind. Mit Patienten, die eine für mich besonders bewegende Geschichte erzählen, oder mit Angehörigen, die sich gerade im absoluten Ausnahmezustand befinden. Da habe ich das Gefühl, dass ich in einer Situation am meisten bewirken kann und dass ich wirklich einen Unterschied gemacht habe. Das sind die Situationen, weswegen ich das mache, das gibt mir auch Jahre nachher noch extrem viel. Wenn ich ganz banal darüber nachdenke, dass Pflegepersonal dieses Gefühl wohl kaum noch bekommen, weil dafür halt keine Zeit mehr da ist kann ich verstehen, dass man das nicht lange durchhält - oder frustriert seinen Stiefel runterklopft.


zu 4) böses Thema
Wenn du alt und pflegebedürftig bist, bekommst du um so mehr vergütet, je kaputter du bist...
Keine Einrichtung kann daran Interesse haben, möglichst viele Patienten mit PG1/2 zu betreuen -> die können sprechen, wünsche formulieren, Ansprüche stellen... du willst willst als Altenheim PG4/5-Patienten, die viel Umsatz generieren und im Kopf so platt sind, daß sie die Zustände nicht mehr selbst kritisieren können...
Solang die dokumentierte Qualität stimmt ist ja alles super!

Bei uns würde ich sagen, dass es Heime gibt, welche in diese Richtung operieren. Und die sind nicht toll, da würde ich niemals einen Angehörigen von mir reinlegen. Es gibt aber auch andere Heime, nämlich solche, die eher als Orte des Lebens (und nicht des langsamen Sterbens) angelegt sind. Die sind auch wesentlich besser vom gesamten Feeling her und auch das Pflegepersonal kommt mir dort in der Regel entspannter vor und hat längere Verweildauer. Dazu sei aber auch gesagt, dass sich mein diesbezüglicher Erfahrungsschatz auf ca. 7 oder 8 Heime in unserem Einsatzgebiet bezieht, die Stichprobe ist da also nicht übermäßig repräsentativ.


@Thoro
Abseits aller meiner Polemik,
danke, daß du den Job noch machst!

Danke für die netten Worte :)

Döner-Ente
2020-02-26, 09:37:37
In Niedersachsen hat man es jüngst mit einer Pflegekammer und Zwangsbeiträgen versucht und ist grandios baden gegangen.



Oh ja. Das hat die Politik bzw. die Kammer aber selber verbockt. Erst macht man eine Umfrage an die Pflegekräfte "Wollt ihr eine Kammer?", in der man all die vermeintlichen Vorzüge der Kammer anpreist und die Zwangsbeiträge nur im Kleingedruckten erwähnt und dann stellen Pflegekräfte fest, dass die ach so tolle Kammer a) sie Geld kostet und b) an ihrer Bezahlung, an ihren Arbeitsbedingungen, an den Personalschlüsseln etc. gar nichts ändern kann, weil sie dafür nicht zuständig ist und ihr die Kompetenzen fehlen. Und dann haut die Kammer die Mitgliedsbeiträge auch noch für teure Sekt & Häppchen-Veranstaltungen mit Einladungen auf teuerstem Papier raus und zeigt sich vollkommen kritikunfähig...
Neuster Streich der Landesregierung, um ihr "Baby" zu retten, ist, dass das Land (also letztendlich der Steuerzahler) die Kammerbeiträge übernimmt.

Monger
2020-02-26, 09:47:30
In Niedersachsen hat man es jüngst mit einer Pflegekammer und Zwangsbeiträgen versucht und ist grandios baden gegangen.

Die meisten Ärzte und Pfleger haben ja noch gar nicht verstanden, dass sie emotional erpresst werden, dass es auch mit dem selben Geld viel besser laufen könnte.

Ich hab mal indirekt von nem Chefarzt gehört: "ich hab mir damals mit 80 Stunden die Woche den Arsch aufgerissen, das erwarte ich von meinen Assistenzärzten auch."
Mal so richtig fertig zu sein, hat fast was von nem Initiationsritus.

Da findet schon ein Umdenken statt, aber es wird Jahrzehnte dauern, bis das richtig durchschlägt.

Thoro
2020-02-26, 09:58:16
Die meisten Ärzte und Pfleger haben ja noch gar nicht verstanden, dass sie emotional erpresst werden, dass es auch mit dem selben Geld viel besser laufen könnte.

Ich hab mal indirekt von nem Chefarzt gehört: "ich hab mir damals mit 80 Stunden die Woche den Arsch aufgerissen, das erwarte ich von meinen Assistenzärzten auch."
Mal so richtig fertig zu sein, hat fast was von nem Initiationsritus.

Da findet schon ein Umdenken statt, aber es wird Jahrzehnte dauern, bis das richtig durchschlägt.

Diese emotionale Erpressung funktioniert in der Sparte halt auch besonders gut. Weil viele halt ganz grundsätzlich erstmal den Menschen helfen möchten - deshalb arbeiten sie ja in dieser Sparte. Und wenn du ihnen dann suggerierst, dass sie den Menschen ja nur deswegen nicht so viel helfen können wie es gut wäre, weil sie zu lange Pause machen, zu oft Kaffee trinken, zu langsam dokumentieren, zu viel Zeitausgleich haben wollen, etc. dann triffst du die Leute halt genau dort, wo es weh tut. Das ist natürlich ultra-perfide, aber so läuft das in vielen Betrieben leider trotzdem.

2Ms
2020-02-26, 10:20:50
Wir bekamen einen neuen Wohnbereichsleiter, weil der alte überfprdert war und das Handtuch geschmissen hatte.

Und der neue erzählte, in einem Heim, in dem er beschäftigt war, hätten die Pflegekräfte geschlossen die hygienische Versorgung der Bewohner extrem gedrosselt. Und zwar für 14 Tage. Solang lagen die Bewohner dann in ihren eigenen Exkrementen. (Seiner Aussage nach, war vielleicht auch übertrieben), aber das Management hat nicht einen Finger gerührt, um die Arbeitsbedingungen zuverbessern.
Da Pflege helfen will, haben sie dann aufgegeben und sich nach dieser Zeit wieder um ihre Schützlinge gekümmert und das mit ihrem Kapital (der eigenen Arbeitskraft, der Lebenszeit, und ihrer pysischen wie psychischen Gesundheit) bezahlt.

Angesichts dieser Erzählung befürchte ich, dass sich in der Pflege nichts mehr ändern wird, außer dass es noch schlimmer werden kann.

PS.: Ich bin nach 2 Jahren Altenpflege in die Betreuung geistigbehinderter in der Psychatrie gegangen. Aber das lag mir nicht und ich habe da auch nach einem 1 Jahr gekündigt.
Bin nun wieder im Handwerk ^^
Aber leide noch heute unter den Folgen verschleppter Grippeerkrankungen, mit denen ich trotzdem arbeiten war . Man läßt schließlich die Kollegen und die Bewohner nicht im Stich.

Gast
2020-03-12, 00:58:53
Wir bekamen einen neuen Wohnbereichsleiter, weil der alte überfprdert war und das Handtuch geschmissen hatte.

Und der neue erzählte, in einem Heim, in dem er beschäftigt war, hätten die Pflegekräfte geschlossen die hygienische Versorgung der Bewohner extrem gedrosselt. Und zwar für 14 Tage. Solang lagen die Bewohner dann in ihren eigenen Exkrementen. (Seiner Aussage nach, war vielleicht auch übertrieben), aber das Management hat nicht einen Finger gerührt, um die Arbeitsbedingungen zuverbessern.
Ist das nicht Körperverletzung?

Bin nun wieder im Handwerk ^^
Was machst Du da?
`

Aber leide noch heute unter den Folgen verschleppter Grippeerkrankungen, mit denen ich trotzdem arbeiten war.
Herzprobleme?

Gast
2020-03-12, 01:05:13
Diese emotionale Erpressung funktioniert in der Sparte halt auch besonders gut. Weil viele halt ganz grundsätzlich erstmal den Menschen helfen möchten - deshalb arbeiten sie ja in dieser Sparte. Und wenn du ihnen dann suggerierst, dass sie den Menschen ja nur deswegen nicht so viel helfen können wie es gut wäre, weil sie zu lange Pause machen, zu oft Kaffee trinken, zu langsam dokumentieren, zu viel Zeitausgleich haben wollen, etc. dann triffst du die Leute halt genau dort, wo es weh tut. Das ist natürlich ultra-perfide, aber so läuft das in vielen Betrieben leider trotzdem.

Wäre da nicht die Politik gefragt die Bedingungen zu verbessern, z.B. über verbindliche Pflegeschlüssel oder ähnliches?

Politiker wollen doch auch mal gut gepflegt werden!?

Gast
2020-03-12, 01:06:14
Die meisten Ärzte und Pfleger haben ja noch gar nicht verstanden, dass sie emotional erpresst werden, dass es auch mit dem selben Geld viel besser laufen könnte.

Ich hab mal indirekt von nem Chefarzt gehört: "ich hab mir damals mit 80 Stunden die Woche den Arsch aufgerissen, das erwarte ich von meinen Assistenzärzten auch."
Mal so richtig fertig zu sein, hat fast was von nem Initiationsritus.

Da findet schon ein Umdenken statt, aber es wird Jahrzehnte dauern, bis das richtig durchschlägt.

Naja, wir leben ja nicht in einer Minderleister-Gesellschaft, nech...

Gast
2020-04-26, 15:00:59
Hab den Job ca. 23 Jahre (inkl. Zivi & Ausbildung/Fachweiterbildung "Onkologie & Palliativ") bis Mitte 2018 gemacht, von 2000-2018 ausschließlich im Nachtdienst (ca. 2x 7ND-Blöcke je 10,25h/Monat).

Die letzten Jahre waren nur noch reine Schadensbegrenzung.
Zu wenig Personal, hoher Krankenstand, immer ca. >=150-200h+ auf dem Konto bei gleichzeitig nahezu immer maximal ausgelasteter Station.
Dabei stieg die "dokumentierte Qualität" der Versorgung immer weiter an, während die "reale Qualität" immer weiter runter ging, sprich es wurde immer mehr dokumentiert aber immer weniger gemacht.

Diverse Kollegen (Pflegekräfte & Ärzte) hab ich dabei beobachten können, wie sie sich mit Burnout aus dem Job verabschiedet haben.
Noch viel mehr haben einfach so resigniert und sind gegangen.

Mein persönliches Fass ist übergelaufen, als unsere Klinik dann noch (über die Hintertür) Anfing Gehälter zu kürzen...

Bis Mitte 2017 wurde unsere 1h Pause im ND noch pauschal bezahlt, weil nicht sicher gestellt werden konnte, daß diese am Stück genommen wurde.
Das sollte wegfallen und stattdessen sollten wir die Kollegen gegenseitig vertreten, sprich wenn ich Pause mache, mußte die Kollegin von der Nachbarstation solange zwei Stationen abdecken (ca. 60 Patienten Versorgen).

Effektiv hieß das -> für seine Aufgaben hatte man statt 10h/ND nur noch 8h/ND Zeit.
Bei ca. 144NDs/Jahr sind das auch 144h die man durch die Pause nicht bezahlt bekommt/weniger Arbeitet. 144h/10,25 -> 14ND (= ca. 1 Monat) mehr pro Jahr arbeiten bei gleichen Gehalt.

Gleichzeitig kam noch jemand auf die glorreiche Idee, wir sollten für die Nutzung des Parkplatzes am KH jetzt ca. 70€/Monat zahlen...

Danke, aber danke nein!

Inzwischen mache ich IT-Kram und pflege zu Hause meinen leicht dementen Opa.

Imho wird das noch vorhandene Pflegepersonal in den aktuell Kliniken regelrecht verbrannt.
Wir haben imho in Deutschland keinen Mangel Pflegekräften, lediglich einen Mangel an Pflegekräften die zu diesen Arbeitsbedingungen arbeiten wollen.


--> https://www.dbfk.de/manifest/der-hintergrund/

Und ich gehöre schon zu denen, die relativ lange durchgehalten haben.

Krass. Gerade im Hinblick auf Corona...