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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der Morgen danach:


Gästin
2003-07-05, 04:25:25
Die große Frage, ob es bei dieser einen Nacht bleibt, oder ob man das ganze Leben miteinander teilen soll.

Er sagt den Satz nur nebenbei, beim Frühstück, aber er wirft mich damit völlig aus der Bahn. Plötzlich kneift er seine Augen zusammen, sieht mich von der Seite an und sagt: "Ich hatte vor dir noch nie eine Freundin, die nach dem Sex sofort einschläft." Sofort verkeilt sich ein Stück Waffel in meiner Kehle. "Aha", huste ich und nehme einen Schluck aus meiner Kaffeetasse. "Freundin" hat er gesagt. Hatte ich da was verpasst? Wann, bitte, waren wir beide in den Zug mit dem Ziel feste Beziehung gestiegen? Im Drehbuch eines schlechteren Films müsste ich jetzt mein Haar nach hinten werfen, ihm um den Hals fallen, dabei dekorativ ein Bein abwinkeln.

Ich hatte ja noch nicht mal vorgehabt, mit diesem Jungen zu schlafen. Gestern Abend standen wir dann doch irgendwann knutschend in seinem Wohnzimmer und schälten uns die Kleider runter. Mein Blut bestand zu diesem Zeitpunkt zu zwei Dritteln aus Wodka und Zitrone. Betrunken war ich aber von seinem Blick, der große Klumpen Gold schmelzen lassen konnte, und von der Art, wie er über den Himmel, die Erde und das Leben dazwischen sprach. Die meisten gut aussehenden Jungs kann man sich schließlich nur von weitem ansehen, wenn sie den Mund aufmachen, möchte man am liebsten weinen.

Auch, was nach dem Kuss kam, war nicht so, dass ich jetzt gern einen Beschwerdebrief an seine Mutter oder den lieben Gott schicken würde. Es wäre eher ein Dankschreiben. Zwei Herzschläge, nachdem ich aus meiner Hose gestiegen war, wusste ich es: Wenn Sex Musik wäre, wäre dieser Junge verdammt noch mal Beethoven. Nur, dass Beethoven die neunte Sinfonie wahrscheinlich nicht mit seiner Zunge geschrieben hat. Gleichzeitig überrumpelt und begeistert von diesem fremden Kopf in meinem Schoß, dachte ich: "Welcher Mann tut so etwas, wenn er sich selbst noch nicht einmal die Schuhe ausgezogen hat?" Dann gab ich das Denken auf.

Jetzt scheint die Sonne wieder, wir stehen an dem weißen Plastiktisch einer Imbissbude und frühstücken Schweinestücke mit Brot und Waffeln mit Sirup. Bis vor einer Sekunde unterhielten wir uns dabei so vorsichtig, wie es zwei Menschen tun, die wissen, wie der Schweiß des anderen schmeckt, aber nicht, wie man seinen Nachnamen schreibt. Dann sagt er plötzlich dieses Wort, "Freundin" - und einen Moment lang will ich einfach ein paar Euro auf den Tische legen und gehen. Mag sein, dass es Jungs wie ihn so häufig gibt wie Diamanten zwischen den Rosinen eines Discount-Vollkornmüslis. Aber nur, weil einer ein flinkes Mundwerk hat und dazu die Neigung, beim Sex tief und schön zu stöhnen, kann ich ihm noch lange keinen festen Platz in meinem Leben geben. Als Nächstes kauft er mir vielleicht ein neues Handy, damit ich "endlich erreichbar" bin und sortiert das Milch-Käse-Gemüse-Chaos in meinem Kühlschrank nach Haltbarkeitsdatum. Dabei ist der Zustand meines Kühlschranks nur eine Metapher für mein Leben.

Zögernd sehe ich ihn mir an, wie er seine nackten, kaum gebräunten Arme auf den Plastiktisch stützt und in die Sonne blinzelt. Auf seiner Oberlippe liegt seidig ein Streifen Bierschaum, in dem sich das Licht bricht. Meine Beine fangen an zu zittern, als mir einfällt, wie sich diese Lippen gestern Nacht vor Lust verzogen haben. "Ach, was soll der Geiz", sage ich laut und stelle meine Kaffeetasse mit einem Knall hin. Dann packe ich diesen Jungen am Kragen seines grauen T-Shirts, ziehe ihn zu mir heran und küsse ihn, dass dem Würstchenbrater hinter uns die Brille auf den Grill fällt.

Quelle: http://neon.stern.de/neon/was_fuehlen.html
Infos: http://www.stern.de/unterhaltung/buecher/index.html?id=509456&nv=sb

The Dude
2003-07-05, 04:31:37
Tja, ist ja schon ganz nett diese Geschichte. Mehr aber auch nicht.

Vielleicht steht mir ja einer auf der Leitung. Aber sorry, was willst Du "Gästin" uns mit der Geschichte sagen?

Vielleicht fällt mir ja auch gerade nix ein weil mein Blut aus 2/3 Bier besteht und ich auch im Moment nicht meinen Kopf im Schoß meiner Freundin habe...

So long, Greez...

The Dude
2003-07-05, 04:53:16
Ah, jetzt lese ich zum ersten mal die Überschrift so richtig...
"Die große Frage, ob es bei dieser einen Nacht bleibt, oder ob man das ganze Leben miteinander teilen soll. "

Ok, klar.
Meine Meinung dazu ist: Die Frau, die dieses Erlebnis geschrieben hat, betont nicht einmal, daß Sie sich irgendwie in den Typ verknallt hat. Ok, er sieht gut aus, kann wohl gut mit seiner Zunge umgehen und respektiert Sie. Aber wie gesagt: Sie schreibt auf gut deutsch wie geil und unverhofft das alles für Sie war.
Hätte sie geschrieben, daß sie am morgen danach plötzlich mehr empfindet als nur "Lust", ja dann hätte sie sich fragen sollen "könnte das vielleicht Liebe sein?" und "will das Schicksal, daß ich das ganze Leben mit dem Typ teile?"

Ich les es nochmal durch.
Ok, da stehen Sachen wie "meine Beine zittern", "wie sein Schweiß schmeckt" und "nicht mal den Nachnamen schreiben können".
Gut, aber ist halt oberflächlicher Sex.

Bis auf das Wort "Freudin". Ok. Sorry, aber daß der Typ "Freundin" sagt hat weder mit Vertrauen, Liebe, noch Zugehörigkeit zu tun.
Ich dachte immer, die Frauen kennen die Männer langsam besser und wissen was in deren Kopf abgeht. Naja, scheinbar bilden Sie sich das nur ein. Ein Mann sagt viele Dinge und "Freundin" ist wirklich leicht auszusprechen ;D....

Wie auch immer, ich hoffe dennoch für das Paar ergibt sich mehr und ich liege mit meiner Einschätzung total falsch.

Greez...

Gast
2003-07-05, 07:03:01
Bei euch hier in Deutschland gehts aber wirklich schon fast zu easy, von wegen nach dem 3. Date- hrhr
Am Anfang hab ich fast jede 2. für ne Prostituierte gehalten.

Mir solls recht sein ;)

Braincatcher
2003-07-05, 09:03:49
Mir gefällt die Geschichte, aber eigentlich nur der guten metaphorischen Aussagekraft wegen. Mir scheint, Frauen können in Texten die sie verfassen, generell bessere Vergleiche aufstellen als Männer.
Was den Sinn des Textes betrifft:
Ich kann die Frau eigentlich schon verstehen. Aber die ganze Beziehung ist schon zum Scheitern verurteilt. Der Mann hat von Anfang an zuviele Erwartungen, sprich er nennt eine Frau mit der er ein One-Night Stand hatte, seine Lebenspartnerin. Die Frau lässt sich von den Vorzügen des Kerls so stark beeindrucken, dass sie keinen einzigen Gedanken an die Erwartungen von ihm verschwendet.
Liebe macht halt blind.

nggalai
2003-07-05, 10:07:17
Hehehe. Theresa Bäuerlein rockt. Hat die nicht auch für die Süddeutsche geschrieben? ???

93,
-Sascha.rb

Bakunin3
2003-07-05, 10:51:26
Hmmm, liest sich ja ganz nett... aber irgendwie sind die ganzen Metaphern und die bildhafte Sprache zu "gewollt und erzwungen".
Sprich: Da wird zu offensichtlich für den zu erzielenden Effekt geschrieben.
Das ist alles nicht echt.
Das ist eine einzige Inszenierung.
Eine solche Frau fühlt nicht, sie beobachtet.
Mehr nicht.
Diese Frauen kenne ich inzwischen zur Genüge.
Und außerdem schreibt sie wie ein Mann, der versucht, wie ein Frau zu schreiben... bzw. vice-versa. ;)

B3

Gast
2003-07-05, 13:55:41
Original geschrieben von nggalai
Hehehe. Theresa Bäuerlein rockt. Hat die nicht auch für die Süddeutsche geschrieben? ???
yep, hat sie :)
"jetzt" war gestern
Zusammen mit dem stern entwickelten die ehemaligen Redakteure des legendären "jetzt"-Magazins der Süddeutschen Zeitung unter der Leitung von Timm Klotzek und Michael Ebert ein emotionales Heft. Voll mit Erinnerungen an das Gestern von "jetzt", mutigen Ausblicken, melancholisch-ängstlichen Kolumnen und tiefen Einblicken.
...
Was bei "jetzt" am Ende stand, macht jetzt den Anfang: Die Lebenswertliste. Bei Neon heißt sie allerdings "Das wird mein Sommer" und lässt die ersten Leser ihre frohen Hoffnungen für die warmen Monate verkünden.